Georg Peez
„Ä. E. heißt Ausrüstung und Übung des Menschen in der „Aisthesis“ (altgriech.) – in der Wahrnehmung“ (v. Hentig). „Aisthesis“ trägt den Doppelcharakter von sowohl sinnlicher und erkenntnisgeleiteter Wahrnehmung als auch lustbezogener, gefühlshafter Empfindung. Friedrich Schiller, der den Begriff der ä. E. 1795 prägte, sah in einer dritten Kraft – dem Spieltrieb – Wege, die Polarisierung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft mithilfe der ä. E. produktiv zu überwinden. Zu Beginn der 1970er-Jahre stand nicht mehr die kulturpessimistisch eingestellte musische Bildung im Mittelpunkt kulturbezogener Sozialarbeit. Man beachtete verstärkt die spezifischen Wahrnehmungsweisen der Mitglieder unterschiedlicher sozialer Schichten, Mileus und Gruppen, bezogen auf deren Umwelt. Die Tätigkeitsfelder der ä. E. sind seitdem nicht nur bildnerische, darstellerische und musikalische Aktivitäten, sondern sozialkommunikative Formen wie Aktionstheater, Spielmobil, Stadtteilaktionen sowie körper- und bewegungsbezogene Mitmach-Angebote. War diese Phase der ä. E. noch von direkten politischen Veränderungsansprüchen geprägt, wurden in der folgenden Phase primär der Alltag und seine gesellschaftlich vermittelte Ästhetik erfahrungs- und handlungsorientiert als aktiv wahrnehmbar und veränderbar in den Mittelpunkt gestellt. Neben den traditionellen Gestaltungsmaterialien spielten Video, Fotografie und Fernsehen wegen ihres medialen Alltagsbezugs eine Rolle. Unter dem Schlagwort „Lernen mit allen Sinnen“ wurden ab Anfang der 1980er-Jahre die sinnlichen, lustbetonten Aspekte herausgestellt. Die Wiedergewinnung von vor allem durch die Medienrezeption vernachlässigten leiblichen Erfahrungsmöglichkeiten stand im Mittelpunkt der ä. E. Erst mit Beginn der 1990er-Jahre gewannen Tendenzen wieder größeren Einfluss, die die elektronischen Medien nicht ausgrenzten, sondern integrierten – nun insbesondere den Computer, der in fast alle Lebens-, Arbeits- und Freizeitbereiche ausstrahlt, mit seinen multimedialen Peripheriegeräten und dem Anschluss ans Internet. Sinnliche Materialbearbeitung und digitale Medienrezeption und -produktion werden heute als Formen der selbstbestimmten und selbstbildenden Auseinandersetzung mit kreativen Spiel- und Gestaltungsmöglichkeiten verschiedenster Art genutzt. Ä. E. erfordert die Aneignung von Lebensumwelt in Projekten. Interessengruppen setzen sich hierbei (möglichst) selbstbestimmend ihre Ziele, einigen sich über Mittel und Wege dahin und stellen aktiv Öffentlichkeit her. Sie formen hiermit kulturelles Leben.
Lit.
Mayrhofer, H./Zacharias, W.: Projektbuch ästhetisches Lernen, Reinbek 1977; Staudte, A.: Ästhetisches Lernen auf neuen Wegen, Weinheim 1993; Zacharias, W.: Interaktiv. Medienökologie zwischen Sinnenreich und Cyberspace. Neue multimediale Spiel- und Lernumwelten für Kinder und Jugendliche, München 2000
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Peez, Georg: Ästhetische Erziehung. In: Fachlexikon der sozialen Arbeit. Frankfurt a. M. (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge) 6. Auflage 2007, S. 72