Rezension von Prof. Dr. Johannes Kirschenmann (Akademie der Bildenden Künste, München) zu: Peez, Georg: Qualitative Forschung in der Kunstpädagogik. Methodologische Analysen und praxisbezogene Konzepte zu Fallstudien über ästhetische Prozesse, biografische Aspekte und soziale Interaktion in unterschiedlichen Bereichen der Kunstpädagogik. Hannover (BDK-Verlag) 2000, 2. unveränderte Auflage (Book on Demand) 2002 |
Forschende Kunstpädagogik
1996 erschienen zwei Schriften für die Kunstpädagogik, die die Bandbreite sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden diametral spiegelten: Wolfgang Reiß legte eine Studie zu Kinderzeichnungen vor, die auf weit über 30.000 Kinderzeichnungen fußte. Sein Forschungsmodus ist bei der quantitativen Methodik angesiedelt. Maria Peters legte ihre Deutung von Schülertexten (Texte im weitesten Begriffssinn) aus der Rezeption plastischer Werke vor. Der Bericht geriet zu einer in Methode und Umfang herausragenden qualitativen Untersuchung. Die Kunstpädagogik forscht!
Mit seiner Habilitationsschrift steckt Georg Peez das Feld der Forschung für die Kunstpädagogik neu ab. Sein Ziel ist nicht, Theorien und Methoden wie in einem Lehrbuch aufzulisten, sondern am Beispiel ausführlich dargestellter Einzelfälle Flexibilität und Spezifika des Forschungsprozesses darzustellen und die Wege zu begründen (S. 29). Dazu referiert Peez die aus den Sozialwissenschaften für die Kunstpädagogik adaptierten Forschungsmethoden kritisch und weist deren – oft implizite – Anwendung an bekannten und auch entlegenen Publikationen nach. Sein Fazit: kunstpädagogische Forschung ist in ihren Forschungsverfahren äußerst different und das Ziel seiner Schrift wie auch der dort immanent angelegten bildungstheoretischen Fachlegitimation ist es, den Forschungseklektizismus zu minimieren, indem eine bessere Kenntnis der Forschungsmethodologien angestrebt wird. Damit werden die Ergebnisse untereinander besser kommunikabel.
Die ausgebreiteten Methoden und vor allem die vom Autor in verschiedenen pädagogischen Feldern erprobten und evaluierten Forschungsmethoden zielen auf unterschiedliche kunstpädagogische Aktionsräume. Dabei ragt der schulische Interaktionsraum heraus. Diese Empirie alltäglichen Unterrichtens möchte Peez in die theoretisch fundierte und somit sensibilisierte Wahrnehmung der dort Handelnden rücken. Auch wenn Peez mit kunstpädagogischer Priorität Zusammenhänge zwischen künstlerischen Verfahren und qualitativ-empirischen Auswertungsverfahren vor allem im experimentell changierenden Blickwinkel auf die Dinge nachweist, reicht sein Begründungszusammenhang in die erziehungswissenschaftliche Fundierung aller Pädagogikfelder. Konsequenterweise folgen seiner breit angelegten und ausgewerteten Studie schulischer Interaktion im Kunstunterricht Forschungen im Bereich der Hochschule und Erwachsenenbildung.
Im Methodendiskurs schlägt sich der Autor im ausführlich dargelegten Pro und Contra der Methoden auf die Seite der qualitativen Forschung, ohne andere Zugriffe zu negieren: Es „sollte jedoch nicht darum gehen, bestehende Unterschiede zu leugnen, als vielmehr darum, mit diesen spezifischen Merkmalen qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden forschungspraktisch und gegenstandsadäquat umzugehen“ (25). Dabei geraten auch jene Beschreibungen in seinen Blick, die an ästhetischen Verfahren orientiert ein collagierendes oder montierendes Verfahren in der Deskription bevorzugen.
Dass kunstpädagogische Forschung nicht nur die pädagogische Praxis verbessert, liegt in Zeiten eines erhöhten Legitimationsbedarfes offen: Gerade qualitative Evaluationsforschung stützt eine Unterrichtsforschung, die den Studien aus ganz anderem Interesse angesichts leerer Kassen Analyse und Optimierung gegenüber stellen können. Und zu dieser notwendigen wissenschaftlichen ‚Instandsetzung‘ der kunstpädagogischen Forschung leistet das Buch von Peez – in seiner Gründlichkeit und Struktur doch ein Stück Lehrbuch – einen so fundierten wie anschaulichen Beitrag. Es gelingt dem Autor, mit, seinen primär sozialwissenschaftlichen Gegenstand immer wieder an die ästhetischen oder künstlerischen Besonderheiten in den Bildungsprozessen rückzubinden. Dabei ist die Sprache des Autors stets exakt und doch frei vom Zwang jener Diktion, die vor ihre Sache eine rhetorische Blendfassade stellt.
Nachdem der Autor verschiedene Praxisfelder durchschritten, protokolliert und analysiert hat, um die Methoden zur Anwendung und Anschauung zu bringen, widmet er den Abschnitt „Irritation, Dekonstruktion, Verfremdung“ dem Versuch, in die sozialwissenschaftlich gespeisten Methoden spezifisch kunstpädagogische Operationen einzubringen. Kritisch leitet er aus den Befunden eine notwendige Intensivierung der kunstpädagogischen Modi ab. Damit ergänzt der das Methodenrepertoire, um dem Anliegen der gesamten Arbeit in ihrem Anspruch begründeten Nachdruck zu verleihen: es ist die intensive Suche nach Widersprüchen, Unpassendem, Auffälligkeiten und Brüchen, um dem üblichen Wunsch zu widerstehen, etwas gleich verstehen zu wollen (S. 178).
Johannes Kirschenmann
erschienen in: Kunst+Unterricht Heft 248 / 2000, S. 47