Inwieweit kümmert sich die Kunstpädagogik um die künstlerisch-ästhetische Erziehung ihrer Schülerinnen und Schüler, nachdem sie die Schule verlassen haben? Was trägt die Kunstpädagogik zur Kontinuität der in Kindheit und Jugend angeregten Prozesse ästhetischer Bildung im Erwachsenenalter bei? Welche Zukunftsperspektiven entwickelt die kunstpädagogische Erwachsenenbildung?
Georg Peez
1. These
Außerschulische kunstpädagogische Bereiche, besonders die künstlerisch-ästhetische
Erwachsenenbildung, werden in den kommenden Jahren stetig an Bedeutung gewinnen.
Parallel zum Abbau der Stundenzahl künstlerisch-ästhetischer
Erziehung in der Schule werden die Angebote für Erwachsene immer umfassender,
differenzierter und unübersichtlicher. Diese Unübersichtlichkeit
spiegelt die zunehmende Ausdifferenzierung der Lebenswelten Erwachsener. Eine
institutionelle relative Geschlossenheit, von welcher die Schulpädagogik
ausgeht, ist im sich ständig im Fluß befindlichen Erwachsenenbildungsbereich
weder anzustreben noch zu verwirklichen.
Selbst der größte öffentliche Anbieter kultureller Erwachsenenbildung,
die Volkshochschule mit gegenwärtig ca. 1,2 Mio. Teilnehmenden an Kursen
der ‚Kulturellen Bildung‘ im Jahr, differenziert bereits sein Angebot für
unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. So sind in manchen Großstädten
eigenständige VHS-Angebote für junge Erwachsene gerade im Kulturbereich
etabliert. Die privaten Anbieter sind ein völlig weißes, d.h. unerfaßtes
Gebiet der Bildungslandschaft. Durch Neugründungen, Aufgabe von Kurstätigkeiten,
neuen Kursangeboten halten diese privaten "Kleinstanbieter" das
Feld ständig in Bewegung und reagieren im Wechselspiel von Angebot und
Nachfrage sehr flexibel auf kulturelle Veränderungen.
2. These
Die personbezogene Ausdifferenzierung der Individuallagen einhergehend mit
gesellschaftlichen Standardisierungstendenzen bildet den soziologischen Rahmen
für kunstpädagogische Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund eines
komplexen Krisenbewußtseins.
In unserer Gesellschaft zeigt sich, daß ein hohes Maß an individueller
Autonomie – bedingt durch eine Herauslösung aus historisch vorgegebenen
Formen sozialer und kultureller Bindungen, die verstärkt in persönlichen
und gesellschaftlichen Krisen einen Verlust an traditionellen Sicherheiten
mit sich bringt – zugleich einhergeht mit starken Standardisierungstendenzen.
Exemplarisch für diese Aussage des Soziologen Ulrich Beck sind die elektronischen
Medien: sie können sehr vielfältig und individuell genutzt werden,
standardisieren jedoch gleichzeitig unsere Wahrnehmungsgewohnheiten. Versucht
Kunstpädagogik sich dadurch zu profilieren, daß sie ausschließlich
individuelle Autonomie zu fördern anstrebt und hierbei die Standardisierungen
als Störfaktoren mißversteht, so wird sie der teils widersprüchlichen
Komplexität der Lebenswelt Erwachsener nicht gerecht.
3. These
Stärker als jedes andere Feld künstlerisch-ästhetischer Erziehung
ist die kulturelle Erwachsenenbildung von ihren marktwirtschaftlichen Voraussetzungen
geprägt. Kunstpädagogik hat dies in ihre Überlegungen miteinzubeziehen,
wenn sie bei den im Feld pädagogisch Tätigen Gehör finden will.
Angebote der kunstpädagogischen Erwachsenenbildung sind im Gegensatz
zur Schulpädagogik durch ihren Dienstleistungscharakter geprägt.
Sie müssen finanziell Gewinn abwerfen, wenn sie sich – in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel für den Kulturbereich – ohne
Subventionen am Markt halten wollen. Die marktwirtschaftlichen Voraussetzungen
wirken sich nicht nur auf Inhalte und Form der Angebote aus; inhaltlich werden
Trends und Marktnischen aufgespürt, formal müssen sich die Angebote
am Freizeitverhalten der Adressaten orientieren. Sondern marktwirtschaftliche
Rahmenbedingungen prägen ebenso die pädagogischen Beziehungen zwischen
den Beteiligten. Die Teilnehmenden haben die Macht der "Abstimmung mit
den Füßen".
4. These
Teilnehmende der künstlerisch-ästhetischen Erwachsenenbildung bringen
sehr unterschiedlich gewichtete, teils widersprüchliche und spannungsreiche
Erwartungshaltungen mit, deren Diffusität professionell strukturiert
werden muß, und denen gleichzeitig im kunstpädagogischen Handeln
Rechnung getragen werden sollte. Die mit ’situativer Eigengesetzlichkeit eines
Kontextualismus‘ zu umschreibende Lebenseinstellung fordert von den kunstpädagogisch
Tätigen einen hohen Grad an Flexibilität.
Einige dieser Erwartungshaltungen sind Technikbezug (Eine bestimmte künstlerische
Technik ist durch Übung zu erlernen.); Produktorientierung (Ein fertiges,
gelungenes Produkt soll entstehen.); Prozeßorientierung (Man will prozeßorientierte
künstlerische Auseinandersetzung, d.h. ‚Entwicklung‘ erleben.); Leistungsorientierung
(Das jeweils folgende bildnerische Produkt soll ‚besser‘ sein als das vorangegangene.);
Individualität (Eigene Werke sollen sich von denen anderer unterscheiden.);
Lustorientierung (Viele Laien geben an, aus ‚Spaß an der Freude‘ zu
malen.); Kunstorientierung (Die eigenen bildnerischen Werke sollen Elemente
dessen enthalten, was jeweilig unter ‚Kunst‘ verstanden wird.); Lernerfahrung
(Die Angebote sollen Anschlüsse zu früher Gelerntem ermöglichen,
sollen zum Weiterlernen motivieren und ‚Neues‘ bieten.); Kontaktbedürfnis
und Geselligkeit (Erwachsene suchen in Kursgemeinschaften Gleichgesinnte auf
der Ebene kooperativer bildnerisch-künstlerisch-ästhetischer Sachauseinandersetzung.);
Kompensation (Kompensatorische Wirkungen bildnerischen Arbeitens werden von
Erwachsenen bewußt gesucht.); Freizeitorientierung (Ein Ausgleich zum
Berufsleben bzw. Alltag wird erwartet.); Anstrengung (Eine spezifische Anstrengung,
die nach dem Psychologen Csikszentmihalyi mit ‚Flow‘ bezeichnet wird, wird
gesucht.); Selbstbestätigung (Neben der Offenheit für Neues wollen
die meisten auch bereits erworbene Fähigkeiten und Einstellungen anerkannt
und berücksichtigt wissen.).
In jeder dieser Erwartungshaltungen können spannungsreiche Wechselbeziehungen
zwischen Individualisierungs- und Standardisierungstendenzen aufgezeigt werden.
5. These
In Reflexionen zur Jugendästhetik oft betonte synästhetische Bezüge
sind bei Erwachsenen ebenfalls richtungsweisend.
Synästhetische Orientierung von Erwachsenen zeigt sich auf unterschiedlichen
Ebenen. Zum einen verbinden vor allem weibliche Biographien in selbstverständlicher
Vielfalt ästhetische Aktivitäten wie ‚Malen, Tonarbeit, Ausdruckstanz,
Dichten, Reisen, Musik, gutes Essen, Naturwahrnehmen‘. Als Folge mischen sich
diese Aktivitäten, so daß mit Recht in Ansätzen von ‚ästhetischer
Bildung‘ gesprochen werden kann. Die Bezeichnung ‚Kunstpädagogik‘ verhindert
fachintern zwar das Ausufern der Bezugs- und Handlungsfelder. In der Lebenspraxis
Erwachsener ist die Mischung der ästhetischen Vermögen, bzw. das
Interesse an ihrer synästhetischen Verbindung, bereits weit fortgeschritten.
Kunstpädagogik muß sich gerade auf dem Feld der Erwachsenenbildung
solch ‚leibhaftigen Varianten der Wirklichkeitskonstruktion‘ mit eigenen Angeboten
und didaktischen Reflexionen weiter öffnen als sie dies bisher tat. Diese
Spannung findet im Titel des Kolloquiums ‚Perspektiven der künstlerisch-ästhetischen
Erziehung‘ ihren Ausdruck.
6. These
Künstlerisch-ästhetische Erwachsenenbildung sollte kritisch, aber
nicht kulturkritisch, d.h. kulturpessimistisch sein.
Daß wir in einer Zeit des ‚untergehenden Abendlandes‘ leben, ist
eine vom kulturkritischen Irrationalismus geprägte Formel. Sie findet
immer wieder neue Spielarten und Ausdrucksformen in ihrer Tradierung auch
durch in der Kunst- und Kulturbranche pädagogisch Tätige. Zweifelsohne
kommen von dieser Seite wichtige Kritikpunkte an gegenwärtigen Kulturentwicklungen,
mit denen eine Auseinandersetzung lohnt. Doch ist offensichtlich, daß
vor dem Hintergrund von Selbstorganisationstheorien bisher nicht künstlerisch-ästhetische
Erziehung die Gesellschaft veränderte, sondern umgekehrt: Die gesellschaftliche
Entwicklung veränderte die Theorie und Praxis künstlerisch-ästhetischer
Erziehung. Künstlerisch-ästhetische Erziehung kann sich durch die
Respektierung der Begrenztheit ihrer pädagogischen Mittel zugleich nicht
von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung lossagen. Angebote künstlerisch-ästhetischer
Erziehung machen das eigene Leben in meist kleinen Schritten als aktiv veränderbar
erfahrbar, wodurch gestaltende Ansprüche hinsichtlich kultureller und
gesellschaftlicher Praxis angeregt werden können. Solche erkenntnisfördernden,
deutenden sowie zum Handeln motivierende Funktionen lassen sich – äquivalent
zu Erscheinungen in der Kunst – aber nicht zielsetzend vorbestimmen.
7. These
Es sind künstlerisch-ästhetische Erfahrungsräume zwischen den
Intentionen Selbstvergewisserung und Selbstbildung zu öffnen, die nicht
nur künstlerisch, sondern auch pädagogisch Unplanmäßiges
zulassen. Zumindest zeitweise sollte die pädagogische Attitüde des
Machens, Planens und Veränderns durch eine teilhabende und zulassende
Einstellung der kunstpädagogisch Tätigen abgelöst werden.
Erwachsene sind Akteure und Souveräne ihrer Lern- und Bildungsprozesse.
Wenn man von für ihre Taten selbstverantwortlichen Erwachsenen ausgeht,
lassen sich bildungstheoretisch zwei pädagogische Intentionen formulieren:
Selbstvergewisserung und (Selbst-)Bildung. Beide Intentionen betonen durch
die Vorsilbe "selbst" den Eigenvollzug des Menschen im Lern- bzw.
Bildungsprozeß. Als ersten Schritt in der künstlerisch-ästhetischen
Erwachsenenbildung sollten pädagogisch Tätige den Erwachsenen Möglichkeiten,
Anregungen und Freiräume zur Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit,
zur Selbstvergewisserung geben. Eine scheinbar nach außen gezeigte Selbstsicherheit
kann für fehlende Selbstvergewisserung, für Inflexibilität
und für die Angst vor neuen Erfahrungen stehen. Wer hingegen Prozesse
der Selbstvergewisserung durchlaufen hat, ist nicht ’starr‘, sondern offen
für Neues und für Irritationen. Denn geschieht eine solche Stabilisierung
nicht, so kann Neues, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten, bereits
vor einer intensiven Auseinandersetzung abgelehnt werden, da eine mögliche
Irritation Angst erzeugt. Ist hingegen die eigene Persönlichkeit selbstvergewissert,
so ist sie offener für bisher Unbekanntes.
Bildungsprozesse sind reflexive und emotional begleitete, fundamentale, vielschichtige
Lernprozesse auf individuellen Wegen (und Umwegen). Sie sind aber auch eingebunden
in gesellschaftliche, historische und kulturelle Voraussetzungen. (Selbst-)Bildung
erfordert Offenheit für Veränderungen und Erweiterungen der eigenen
Persönlichkeit, hin zu einem weitgehend offenen sowie eigene Prioritäten
setzenden Wahrnehmen, Erfahren, Lernen und Handeln. (Selbst-)Bildung ist die
Exploration der eigenen Persönlichkeit durch die Exploration der gegebenen
und selbstgeschaffenen Freiräume. Selbstvergewisserungs- und Bildungsprozesse
sind nicht zielorientiert abzuschließen. Kennzeichnend für erfahrungsoffenes
Verhalten sowie den sozialen Umgang der Erwachsenen miteinander ist eine teilhabende
und zulassende Einstellung, so daß nicht nur pädagogisch Tätige
Erfahrungsoffenheit von den Erwachsenen einfordern, sondern auch selbst erfahrungsoffen
‚leben‘. Dies spricht nicht für die Nivellierung von ‚Unterschieden‘
zwischen Teilnehmenden und kunstpädagogisch Tätigen, sondern spricht
für die Authetizität pädagogischen Handelns. Es bedarf der
Ernsthaftigkeit, Menschen als Repräsentanten einer sich historisch wandelnden
Idee des Menschen anzuerkennen. Es geht nach dieser teilhabenden Einstellung
also nicht darum, Menschen bildend ihrer Bestimmung zuzuführen, nicht
einmal ihrer ‚Selbstbestimmung‘.
8. These
Ethische Überlegungen in künstlerisch-ästhetischen Bereichen
sind differenzierter zu sehen, als einfache Unterscheidungen zwischen ‚gut‘
und ‚böse‘ bzw. ’schlecht‘ dies glauben machen.
Eine Ausgrenzung faszinierender ästhetischer Phänomene ‚des
Bösen‘ bzw. ‚des Schlechten‘ aus dem erwachsenenpädagogischen Bereich,
die einem ‚gut gemeinten‘ Verantwortungsdenken entspringt, ignoriert und stigmatisiert
bestimmte ästhetische Phänomene und Bedürfnisse, schafft sie
aber nicht ab. Verantwortungsbewußte Pädagogik, die mehr als ’sekularisierte
Erbauung‘ am harmonisch Guten bewirken will, muß sich den Herausforderungen
stellen und auch die destruktiven, aggressiven ästhetischen Tendenzen
unserer Kreativitätspotentiale gerade im Bezug synästhetischer Wirklichkeitskonstruktionen
thematisieren.
Eine künstlerisch-ästhetische Erziehung, die sich mit diesen thesenhaft
umrissenen Inhalten auseinandersetzt, wird verstärkt erwachsenenpädagogische
Anschlüsse knüpfen.
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Die personbezogene Ausdifferenzierung der Individuallagen einhergehend mit gesellschaftlichen Standardisierungstendenzen bildet den soziologischen Rahmen für kunstpädagogische Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund eines komplexen Krisenbewußtseins.
In unserer Gesellschaft zeigt sich, daß ein hohes Maß an individueller Autonomie – bedingt durch eine Herauslösung aus historisch vorgegebenen Formen sozialer und kultureller Bindungen, die verstärkt in persönlichen und gesellschaftlichen Krisen einen Verlust an traditionellen Sicherheiten mit sich bringt – zugleich einhergeht mit starken Standardisierungstendenzen. Exemplarisch für diese Aussage des Soziologen Ulrich Beck sind die elektronischen Medien: sie können sehr vielfältig und individuell genutzt werden, standardisieren jedoch gleichzeitig unsere Wahrnehmungsgewohnheiten. Versucht Kunstpädagogik sich dadurch zu profilieren, daß sie ausschließlich individuelle Autonomie zu fördern anstrebt und hierbei die Standardisierungen als Störfaktoren mißversteht, so wird sie der teils widersprüchlichen Komplexität der Lebenswelt Erwachsener nicht gerecht.
3. These
Stärker als jedes andere Feld künstlerisch-ästhetischer Erziehung
ist die kulturelle Erwachsenenbildung von ihren marktwirtschaftlichen Voraussetzungen
geprägt. Kunstpädagogik hat dies in ihre Überlegungen miteinzubeziehen,
wenn sie bei den im Feld pädagogisch Tätigen Gehör finden will.
Angebote der kunstpädagogischen Erwachsenenbildung sind im Gegensatz
zur Schulpädagogik durch ihren Dienstleistungscharakter geprägt.
Sie müssen finanziell Gewinn abwerfen, wenn sie sich – in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel für den Kulturbereich – ohne
Subventionen am Markt halten wollen. Die marktwirtschaftlichen Voraussetzungen
wirken sich nicht nur auf Inhalte und Form der Angebote aus; inhaltlich werden
Trends und Marktnischen aufgespürt, formal müssen sich die Angebote
am Freizeitverhalten der Adressaten orientieren. Sondern marktwirtschaftliche
Rahmenbedingungen prägen ebenso die pädagogischen Beziehungen zwischen
den Beteiligten. Die Teilnehmenden haben die Macht der "Abstimmung mit
den Füßen".
4. These
Teilnehmende der künstlerisch-ästhetischen Erwachsenenbildung bringen
sehr unterschiedlich gewichtete, teils widersprüchliche und spannungsreiche
Erwartungshaltungen mit, deren Diffusität professionell strukturiert
werden muß, und denen gleichzeitig im kunstpädagogischen Handeln
Rechnung getragen werden sollte. Die mit ’situativer Eigengesetzlichkeit eines
Kontextualismus‘ zu umschreibende Lebenseinstellung fordert von den kunstpädagogisch
Tätigen einen hohen Grad an Flexibilität.
Einige dieser Erwartungshaltungen sind Technikbezug (Eine bestimmte künstlerische
Technik ist durch Übung zu erlernen.); Produktorientierung (Ein fertiges,
gelungenes Produkt soll entstehen.); Prozeßorientierung (Man will prozeßorientierte
künstlerische Auseinandersetzung, d.h. ‚Entwicklung‘ erleben.); Leistungsorientierung
(Das jeweils folgende bildnerische Produkt soll ‚besser‘ sein als das vorangegangene.);
Individualität (Eigene Werke sollen sich von denen anderer unterscheiden.);
Lustorientierung (Viele Laien geben an, aus ‚Spaß an der Freude‘ zu
malen.); Kunstorientierung (Die eigenen bildnerischen Werke sollen Elemente
dessen enthalten, was jeweilig unter ‚Kunst‘ verstanden wird.); Lernerfahrung
(Die Angebote sollen Anschlüsse zu früher Gelerntem ermöglichen,
sollen zum Weiterlernen motivieren und ‚Neues‘ bieten.); Kontaktbedürfnis
und Geselligkeit (Erwachsene suchen in Kursgemeinschaften Gleichgesinnte auf
der Ebene kooperativer bildnerisch-künstlerisch-ästhetischer Sachauseinandersetzung.);
Kompensation (Kompensatorische Wirkungen bildnerischen Arbeitens werden von
Erwachsenen bewußt gesucht.); Freizeitorientierung (Ein Ausgleich zum
Berufsleben bzw. Alltag wird erwartet.); Anstrengung (Eine spezifische Anstrengung,
die nach dem Psychologen Csikszentmihalyi mit ‚Flow‘ bezeichnet wird, wird
gesucht.); Selbstbestätigung (Neben der Offenheit für Neues wollen
die meisten auch bereits erworbene Fähigkeiten und Einstellungen anerkannt
und berücksichtigt wissen.).
In jeder dieser Erwartungshaltungen können spannungsreiche Wechselbeziehungen
zwischen Individualisierungs- und Standardisierungstendenzen aufgezeigt werden.
5. These
In Reflexionen zur Jugendästhetik oft betonte synästhetische Bezüge
sind bei Erwachsenen ebenfalls richtungsweisend.
Synästhetische Orientierung von Erwachsenen zeigt sich auf unterschiedlichen
Ebenen. Zum einen verbinden vor allem weibliche Biographien in selbstverständlicher
Vielfalt ästhetische Aktivitäten wie ‚Malen, Tonarbeit, Ausdruckstanz,
Dichten, Reisen, Musik, gutes Essen, Naturwahrnehmen‘. Als Folge mischen sich
diese Aktivitäten, so daß mit Recht in Ansätzen von ‚ästhetischer
Bildung‘ gesprochen werden kann. Die Bezeichnung ‚Kunstpädagogik‘ verhindert
fachintern zwar das Ausufern der Bezugs- und Handlungsfelder. In der Lebenspraxis
Erwachsener ist die Mischung der ästhetischen Vermögen, bzw. das
Interesse an ihrer synästhetischen Verbindung, bereits weit fortgeschritten.
Kunstpädagogik muß sich gerade auf dem Feld der Erwachsenenbildung
solch ‚leibhaftigen Varianten der Wirklichkeitskonstruktion‘ mit eigenen Angeboten
und didaktischen Reflexionen weiter öffnen als sie dies bisher tat. Diese
Spannung findet im Titel des Kolloquiums ‚Perspektiven der künstlerisch-ästhetischen
Erziehung‘ ihren Ausdruck.
6. These
Künstlerisch-ästhetische Erwachsenenbildung sollte kritisch, aber
nicht kulturkritisch, d.h. kulturpessimistisch sein.
Daß wir in einer Zeit des ‚untergehenden Abendlandes‘ leben, ist
eine vom kulturkritischen Irrationalismus geprägte Formel. Sie findet
immer wieder neue Spielarten und Ausdrucksformen in ihrer Tradierung auch
durch in der Kunst- und Kulturbranche pädagogisch Tätige. Zweifelsohne
kommen von dieser Seite wichtige Kritikpunkte an gegenwärtigen Kulturentwicklungen,
mit denen eine Auseinandersetzung lohnt. Doch ist offensichtlich, daß
vor dem Hintergrund von Selbstorganisationstheorien bisher nicht künstlerisch-ästhetische
Erziehung die Gesellschaft veränderte, sondern umgekehrt: Die gesellschaftliche
Entwicklung veränderte die Theorie und Praxis künstlerisch-ästhetischer
Erziehung. Künstlerisch-ästhetische Erziehung kann sich durch die
Respektierung der Begrenztheit ihrer pädagogischen Mittel zugleich nicht
von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung lossagen. Angebote künstlerisch-ästhetischer
Erziehung machen das eigene Leben in meist kleinen Schritten als aktiv veränderbar
erfahrbar, wodurch gestaltende Ansprüche hinsichtlich kultureller und
gesellschaftlicher Praxis angeregt werden können. Solche erkenntnisfördernden,
deutenden sowie zum Handeln motivierende Funktionen lassen sich – äquivalent
zu Erscheinungen in der Kunst – aber nicht zielsetzend vorbestimmen.
7. These
Es sind künstlerisch-ästhetische Erfahrungsräume zwischen den
Intentionen Selbstvergewisserung und Selbstbildung zu öffnen, die nicht
nur künstlerisch, sondern auch pädagogisch Unplanmäßiges
zulassen. Zumindest zeitweise sollte die pädagogische Attitüde des
Machens, Planens und Veränderns durch eine teilhabende und zulassende
Einstellung der kunstpädagogisch Tätigen abgelöst werden.
Erwachsene sind Akteure und Souveräne ihrer Lern- und Bildungsprozesse.
Wenn man von für ihre Taten selbstverantwortlichen Erwachsenen ausgeht,
lassen sich bildungstheoretisch zwei pädagogische Intentionen formulieren:
Selbstvergewisserung und (Selbst-)Bildung. Beide Intentionen betonen durch
die Vorsilbe "selbst" den Eigenvollzug des Menschen im Lern- bzw.
Bildungsprozeß. Als ersten Schritt in der künstlerisch-ästhetischen
Erwachsenenbildung sollten pädagogisch Tätige den Erwachsenen Möglichkeiten,
Anregungen und Freiräume zur Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit,
zur Selbstvergewisserung geben. Eine scheinbar nach außen gezeigte Selbstsicherheit
kann für fehlende Selbstvergewisserung, für Inflexibilität
und für die Angst vor neuen Erfahrungen stehen. Wer hingegen Prozesse
der Selbstvergewisserung durchlaufen hat, ist nicht ’starr‘, sondern offen
für Neues und für Irritationen. Denn geschieht eine solche Stabilisierung
nicht, so kann Neues, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten, bereits
vor einer intensiven Auseinandersetzung abgelehnt werden, da eine mögliche
Irritation Angst erzeugt. Ist hingegen die eigene Persönlichkeit selbstvergewissert,
so ist sie offener für bisher Unbekanntes.
Bildungsprozesse sind reflexive und emotional begleitete, fundamentale, vielschichtige
Lernprozesse auf individuellen Wegen (und Umwegen). Sie sind aber auch eingebunden
in gesellschaftliche, historische und kulturelle Voraussetzungen. (Selbst-)Bildung
erfordert Offenheit für Veränderungen und Erweiterungen der eigenen
Persönlichkeit, hin zu einem weitgehend offenen sowie eigene Prioritäten
setzenden Wahrnehmen, Erfahren, Lernen und Handeln. (Selbst-)Bildung ist die
Exploration der eigenen Persönlichkeit durch die Exploration der gegebenen
und selbstgeschaffenen Freiräume. Selbstvergewisserungs- und Bildungsprozesse
sind nicht zielorientiert abzuschließen. Kennzeichnend für erfahrungsoffenes
Verhalten sowie den sozialen Umgang der Erwachsenen miteinander ist eine teilhabende
und zulassende Einstellung, so daß nicht nur pädagogisch Tätige
Erfahrungsoffenheit von den Erwachsenen einfordern, sondern auch selbst erfahrungsoffen
‚leben‘. Dies spricht nicht für die Nivellierung von ‚Unterschieden‘
zwischen Teilnehmenden und kunstpädagogisch Tätigen, sondern spricht
für die Authetizität pädagogischen Handelns. Es bedarf der
Ernsthaftigkeit, Menschen als Repräsentanten einer sich historisch wandelnden
Idee des Menschen anzuerkennen. Es geht nach dieser teilhabenden Einstellung
also nicht darum, Menschen bildend ihrer Bestimmung zuzuführen, nicht
einmal ihrer ‚Selbstbestimmung‘.
8. These
Ethische Überlegungen in künstlerisch-ästhetischen Bereichen
sind differenzierter zu sehen, als einfache Unterscheidungen zwischen ‚gut‘
und ‚böse‘ bzw. ’schlecht‘ dies glauben machen.
Eine Ausgrenzung faszinierender ästhetischer Phänomene ‚des
Bösen‘ bzw. ‚des Schlechten‘ aus dem erwachsenenpädagogischen Bereich,
die einem ‚gut gemeinten‘ Verantwortungsdenken entspringt, ignoriert und stigmatisiert
bestimmte ästhetische Phänomene und Bedürfnisse, schafft sie
aber nicht ab. Verantwortungsbewußte Pädagogik, die mehr als ’sekularisierte
Erbauung‘ am harmonisch Guten bewirken will, muß sich den Herausforderungen
stellen und auch die destruktiven, aggressiven ästhetischen Tendenzen
unserer Kreativitätspotentiale gerade im Bezug synästhetischer Wirklichkeitskonstruktionen
thematisieren.
Eine künstlerisch-ästhetische Erziehung, die sich mit diesen thesenhaft
umrissenen Inhalten auseinandersetzt, wird verstärkt erwachsenenpädagogische
Anschlüsse knüpfen.
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Teilnehmende der künstlerisch-ästhetischen Erwachsenenbildung bringen sehr unterschiedlich gewichtete, teils widersprüchliche und spannungsreiche Erwartungshaltungen mit, deren Diffusität professionell strukturiert werden muß, und denen gleichzeitig im kunstpädagogischen Handeln Rechnung getragen werden sollte. Die mit ’situativer Eigengesetzlichkeit eines Kontextualismus‘ zu umschreibende Lebenseinstellung fordert von den kunstpädagogisch Tätigen einen hohen Grad an Flexibilität.
Einige dieser Erwartungshaltungen sind Technikbezug (Eine bestimmte künstlerische Technik ist durch Übung zu erlernen.); Produktorientierung (Ein fertiges, gelungenes Produkt soll entstehen.); Prozeßorientierung (Man will prozeßorientierte künstlerische Auseinandersetzung, d.h. ‚Entwicklung‘ erleben.); Leistungsorientierung (Das jeweils folgende bildnerische Produkt soll ‚besser‘ sein als das vorangegangene.); Individualität (Eigene Werke sollen sich von denen anderer unterscheiden.); Lustorientierung (Viele Laien geben an, aus ‚Spaß an der Freude‘ zu malen.); Kunstorientierung (Die eigenen bildnerischen Werke sollen Elemente dessen enthalten, was jeweilig unter ‚Kunst‘ verstanden wird.); Lernerfahrung (Die Angebote sollen Anschlüsse zu früher Gelerntem ermöglichen, sollen zum Weiterlernen motivieren und ‚Neues‘ bieten.); Kontaktbedürfnis und Geselligkeit (Erwachsene suchen in Kursgemeinschaften Gleichgesinnte auf der Ebene kooperativer bildnerisch-künstlerisch-ästhetischer Sachauseinandersetzung.); Kompensation (Kompensatorische Wirkungen bildnerischen Arbeitens werden von Erwachsenen bewußt gesucht.); Freizeitorientierung (Ein Ausgleich zum Berufsleben bzw. Alltag wird erwartet.); Anstrengung (Eine spezifische Anstrengung, die nach dem Psychologen Csikszentmihalyi mit ‚Flow‘ bezeichnet wird, wird gesucht.); Selbstbestätigung (Neben der Offenheit für Neues wollen die meisten auch bereits erworbene Fähigkeiten und Einstellungen anerkannt und berücksichtigt wissen.).
In jeder dieser Erwartungshaltungen können spannungsreiche Wechselbeziehungen zwischen Individualisierungs- und Standardisierungstendenzen aufgezeigt werden.
5. These
In Reflexionen zur Jugendästhetik oft betonte synästhetische Bezüge
sind bei Erwachsenen ebenfalls richtungsweisend.
Synästhetische Orientierung von Erwachsenen zeigt sich auf unterschiedlichen
Ebenen. Zum einen verbinden vor allem weibliche Biographien in selbstverständlicher
Vielfalt ästhetische Aktivitäten wie ‚Malen, Tonarbeit, Ausdruckstanz,
Dichten, Reisen, Musik, gutes Essen, Naturwahrnehmen‘. Als Folge mischen sich
diese Aktivitäten, so daß mit Recht in Ansätzen von ‚ästhetischer
Bildung‘ gesprochen werden kann. Die Bezeichnung ‚Kunstpädagogik‘ verhindert
fachintern zwar das Ausufern der Bezugs- und Handlungsfelder. In der Lebenspraxis
Erwachsener ist die Mischung der ästhetischen Vermögen, bzw. das
Interesse an ihrer synästhetischen Verbindung, bereits weit fortgeschritten.
Kunstpädagogik muß sich gerade auf dem Feld der Erwachsenenbildung
solch ‚leibhaftigen Varianten der Wirklichkeitskonstruktion‘ mit eigenen Angeboten
und didaktischen Reflexionen weiter öffnen als sie dies bisher tat. Diese
Spannung findet im Titel des Kolloquiums ‚Perspektiven der künstlerisch-ästhetischen
Erziehung‘ ihren Ausdruck.
6. These
Künstlerisch-ästhetische Erwachsenenbildung sollte kritisch, aber
nicht kulturkritisch, d.h. kulturpessimistisch sein.
Daß wir in einer Zeit des ‚untergehenden Abendlandes‘ leben, ist
eine vom kulturkritischen Irrationalismus geprägte Formel. Sie findet
immer wieder neue Spielarten und Ausdrucksformen in ihrer Tradierung auch
durch in der Kunst- und Kulturbranche pädagogisch Tätige. Zweifelsohne
kommen von dieser Seite wichtige Kritikpunkte an gegenwärtigen Kulturentwicklungen,
mit denen eine Auseinandersetzung lohnt. Doch ist offensichtlich, daß
vor dem Hintergrund von Selbstorganisationstheorien bisher nicht künstlerisch-ästhetische
Erziehung die Gesellschaft veränderte, sondern umgekehrt: Die gesellschaftliche
Entwicklung veränderte die Theorie und Praxis künstlerisch-ästhetischer
Erziehung. Künstlerisch-ästhetische Erziehung kann sich durch die
Respektierung der Begrenztheit ihrer pädagogischen Mittel zugleich nicht
von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung lossagen. Angebote künstlerisch-ästhetischer
Erziehung machen das eigene Leben in meist kleinen Schritten als aktiv veränderbar
erfahrbar, wodurch gestaltende Ansprüche hinsichtlich kultureller und
gesellschaftlicher Praxis angeregt werden können. Solche erkenntnisfördernden,
deutenden sowie zum Handeln motivierende Funktionen lassen sich – äquivalent
zu Erscheinungen in der Kunst – aber nicht zielsetzend vorbestimmen.
7. These
Es sind künstlerisch-ästhetische Erfahrungsräume zwischen den
Intentionen Selbstvergewisserung und Selbstbildung zu öffnen, die nicht
nur künstlerisch, sondern auch pädagogisch Unplanmäßiges
zulassen. Zumindest zeitweise sollte die pädagogische Attitüde des
Machens, Planens und Veränderns durch eine teilhabende und zulassende
Einstellung der kunstpädagogisch Tätigen abgelöst werden.
Erwachsene sind Akteure und Souveräne ihrer Lern- und Bildungsprozesse.
Wenn man von für ihre Taten selbstverantwortlichen Erwachsenen ausgeht,
lassen sich bildungstheoretisch zwei pädagogische Intentionen formulieren:
Selbstvergewisserung und (Selbst-)Bildung. Beide Intentionen betonen durch
die Vorsilbe "selbst" den Eigenvollzug des Menschen im Lern- bzw.
Bildungsprozeß. Als ersten Schritt in der künstlerisch-ästhetischen
Erwachsenenbildung sollten pädagogisch Tätige den Erwachsenen Möglichkeiten,
Anregungen und Freiräume zur Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit,
zur Selbstvergewisserung geben. Eine scheinbar nach außen gezeigte Selbstsicherheit
kann für fehlende Selbstvergewisserung, für Inflexibilität
und für die Angst vor neuen Erfahrungen stehen. Wer hingegen Prozesse
der Selbstvergewisserung durchlaufen hat, ist nicht ’starr‘, sondern offen
für Neues und für Irritationen. Denn geschieht eine solche Stabilisierung
nicht, so kann Neues, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten, bereits
vor einer intensiven Auseinandersetzung abgelehnt werden, da eine mögliche
Irritation Angst erzeugt. Ist hingegen die eigene Persönlichkeit selbstvergewissert,
so ist sie offener für bisher Unbekanntes.
Bildungsprozesse sind reflexive und emotional begleitete, fundamentale, vielschichtige
Lernprozesse auf individuellen Wegen (und Umwegen). Sie sind aber auch eingebunden
in gesellschaftliche, historische und kulturelle Voraussetzungen. (Selbst-)Bildung
erfordert Offenheit für Veränderungen und Erweiterungen der eigenen
Persönlichkeit, hin zu einem weitgehend offenen sowie eigene Prioritäten
setzenden Wahrnehmen, Erfahren, Lernen und Handeln. (Selbst-)Bildung ist die
Exploration der eigenen Persönlichkeit durch die Exploration der gegebenen
und selbstgeschaffenen Freiräume. Selbstvergewisserungs- und Bildungsprozesse
sind nicht zielorientiert abzuschließen. Kennzeichnend für erfahrungsoffenes
Verhalten sowie den sozialen Umgang der Erwachsenen miteinander ist eine teilhabende
und zulassende Einstellung, so daß nicht nur pädagogisch Tätige
Erfahrungsoffenheit von den Erwachsenen einfordern, sondern auch selbst erfahrungsoffen
‚leben‘. Dies spricht nicht für die Nivellierung von ‚Unterschieden‘
zwischen Teilnehmenden und kunstpädagogisch Tätigen, sondern spricht
für die Authetizität pädagogischen Handelns. Es bedarf der
Ernsthaftigkeit, Menschen als Repräsentanten einer sich historisch wandelnden
Idee des Menschen anzuerkennen. Es geht nach dieser teilhabenden Einstellung
also nicht darum, Menschen bildend ihrer Bestimmung zuzuführen, nicht
einmal ihrer ‚Selbstbestimmung‘.
8. These
Ethische Überlegungen in künstlerisch-ästhetischen Bereichen
sind differenzierter zu sehen, als einfache Unterscheidungen zwischen ‚gut‘
und ‚böse‘ bzw. ’schlecht‘ dies glauben machen.
Eine Ausgrenzung faszinierender ästhetischer Phänomene ‚des
Bösen‘ bzw. ‚des Schlechten‘ aus dem erwachsenenpädagogischen Bereich,
die einem ‚gut gemeinten‘ Verantwortungsdenken entspringt, ignoriert und stigmatisiert
bestimmte ästhetische Phänomene und Bedürfnisse, schafft sie
aber nicht ab. Verantwortungsbewußte Pädagogik, die mehr als ’sekularisierte
Erbauung‘ am harmonisch Guten bewirken will, muß sich den Herausforderungen
stellen und auch die destruktiven, aggressiven ästhetischen Tendenzen
unserer Kreativitätspotentiale gerade im Bezug synästhetischer Wirklichkeitskonstruktionen
thematisieren.
Eine künstlerisch-ästhetische Erziehung, die sich mit diesen thesenhaft
umrissenen Inhalten auseinandersetzt, wird verstärkt erwachsenenpädagogische
Anschlüsse knüpfen.
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Künstlerisch-ästhetische Erwachsenenbildung sollte kritisch, aber nicht kulturkritisch, d.h. kulturpessimistisch sein.
Daß wir in einer Zeit des ‚untergehenden Abendlandes‘ leben, ist eine vom kulturkritischen Irrationalismus geprägte Formel. Sie findet immer wieder neue Spielarten und Ausdrucksformen in ihrer Tradierung auch durch in der Kunst- und Kulturbranche pädagogisch Tätige. Zweifelsohne kommen von dieser Seite wichtige Kritikpunkte an gegenwärtigen Kulturentwicklungen, mit denen eine Auseinandersetzung lohnt. Doch ist offensichtlich, daß vor dem Hintergrund von Selbstorganisationstheorien bisher nicht künstlerisch-ästhetische Erziehung die Gesellschaft veränderte, sondern umgekehrt: Die gesellschaftliche Entwicklung veränderte die Theorie und Praxis künstlerisch-ästhetischer Erziehung. Künstlerisch-ästhetische Erziehung kann sich durch die Respektierung der Begrenztheit ihrer pädagogischen Mittel zugleich nicht von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung lossagen. Angebote künstlerisch-ästhetischer Erziehung machen das eigene Leben in meist kleinen Schritten als aktiv veränderbar erfahrbar, wodurch gestaltende Ansprüche hinsichtlich kultureller und gesellschaftlicher Praxis angeregt werden können. Solche erkenntnisfördernden, deutenden sowie zum Handeln motivierende Funktionen lassen sich – äquivalent zu Erscheinungen in der Kunst – aber nicht zielsetzend vorbestimmen.
7. These
Es sind künstlerisch-ästhetische Erfahrungsräume zwischen den
Intentionen Selbstvergewisserung und Selbstbildung zu öffnen, die nicht
nur künstlerisch, sondern auch pädagogisch Unplanmäßiges
zulassen. Zumindest zeitweise sollte die pädagogische Attitüde des
Machens, Planens und Veränderns durch eine teilhabende und zulassende
Einstellung der kunstpädagogisch Tätigen abgelöst werden.
Erwachsene sind Akteure und Souveräne ihrer Lern- und Bildungsprozesse.
Wenn man von für ihre Taten selbstverantwortlichen Erwachsenen ausgeht,
lassen sich bildungstheoretisch zwei pädagogische Intentionen formulieren:
Selbstvergewisserung und (Selbst-)Bildung. Beide Intentionen betonen durch
die Vorsilbe "selbst" den Eigenvollzug des Menschen im Lern- bzw.
Bildungsprozeß. Als ersten Schritt in der künstlerisch-ästhetischen
Erwachsenenbildung sollten pädagogisch Tätige den Erwachsenen Möglichkeiten,
Anregungen und Freiräume zur Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit,
zur Selbstvergewisserung geben. Eine scheinbar nach außen gezeigte Selbstsicherheit
kann für fehlende Selbstvergewisserung, für Inflexibilität
und für die Angst vor neuen Erfahrungen stehen. Wer hingegen Prozesse
der Selbstvergewisserung durchlaufen hat, ist nicht ’starr‘, sondern offen
für Neues und für Irritationen. Denn geschieht eine solche Stabilisierung
nicht, so kann Neues, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten, bereits
vor einer intensiven Auseinandersetzung abgelehnt werden, da eine mögliche
Irritation Angst erzeugt. Ist hingegen die eigene Persönlichkeit selbstvergewissert,
so ist sie offener für bisher Unbekanntes.
Bildungsprozesse sind reflexive und emotional begleitete, fundamentale, vielschichtige
Lernprozesse auf individuellen Wegen (und Umwegen). Sie sind aber auch eingebunden
in gesellschaftliche, historische und kulturelle Voraussetzungen. (Selbst-)Bildung
erfordert Offenheit für Veränderungen und Erweiterungen der eigenen
Persönlichkeit, hin zu einem weitgehend offenen sowie eigene Prioritäten
setzenden Wahrnehmen, Erfahren, Lernen und Handeln. (Selbst-)Bildung ist die
Exploration der eigenen Persönlichkeit durch die Exploration der gegebenen
und selbstgeschaffenen Freiräume. Selbstvergewisserungs- und Bildungsprozesse
sind nicht zielorientiert abzuschließen. Kennzeichnend für erfahrungsoffenes
Verhalten sowie den sozialen Umgang der Erwachsenen miteinander ist eine teilhabende
und zulassende Einstellung, so daß nicht nur pädagogisch Tätige
Erfahrungsoffenheit von den Erwachsenen einfordern, sondern auch selbst erfahrungsoffen
‚leben‘. Dies spricht nicht für die Nivellierung von ‚Unterschieden‘
zwischen Teilnehmenden und kunstpädagogisch Tätigen, sondern spricht
für die Authetizität pädagogischen Handelns. Es bedarf der
Ernsthaftigkeit, Menschen als Repräsentanten einer sich historisch wandelnden
Idee des Menschen anzuerkennen. Es geht nach dieser teilhabenden Einstellung
also nicht darum, Menschen bildend ihrer Bestimmung zuzuführen, nicht
einmal ihrer ‚Selbstbestimmung‘.
8. These
Ethische Überlegungen in künstlerisch-ästhetischen Bereichen
sind differenzierter zu sehen, als einfache Unterscheidungen zwischen ‚gut‘
und ‚böse‘ bzw. ’schlecht‘ dies glauben machen.
Eine Ausgrenzung faszinierender ästhetischer Phänomene ‚des
Bösen‘ bzw. ‚des Schlechten‘ aus dem erwachsenenpädagogischen Bereich,
die einem ‚gut gemeinten‘ Verantwortungsdenken entspringt, ignoriert und stigmatisiert
bestimmte ästhetische Phänomene und Bedürfnisse, schafft sie
aber nicht ab. Verantwortungsbewußte Pädagogik, die mehr als ’sekularisierte
Erbauung‘ am harmonisch Guten bewirken will, muß sich den Herausforderungen
stellen und auch die destruktiven, aggressiven ästhetischen Tendenzen
unserer Kreativitätspotentiale gerade im Bezug synästhetischer Wirklichkeitskonstruktionen
thematisieren.
Eine künstlerisch-ästhetische Erziehung, die sich mit diesen thesenhaft
umrissenen Inhalten auseinandersetzt, wird verstärkt erwachsenenpädagogische
Anschlüsse knüpfen.
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Ethische Überlegungen in künstlerisch-ästhetischen Bereichen sind differenzierter zu sehen, als einfache Unterscheidungen zwischen ‚gut‘ und ‚böse‘ bzw. ’schlecht‘ dies glauben machen.
Eine Ausgrenzung faszinierender ästhetischer Phänomene ‚des Bösen‘ bzw. ‚des Schlechten‘ aus dem erwachsenenpädagogischen Bereich, die einem ‚gut gemeinten‘ Verantwortungsdenken entspringt, ignoriert und stigmatisiert bestimmte ästhetische Phänomene und Bedürfnisse, schafft sie aber nicht ab. Verantwortungsbewußte Pädagogik, die mehr als ’sekularisierte Erbauung‘ am harmonisch Guten bewirken will, muß sich den Herausforderungen stellen und auch die destruktiven, aggressiven ästhetischen Tendenzen unserer Kreativitätspotentiale gerade im Bezug synästhetischer Wirklichkeitskonstruktionen thematisieren. Eine künstlerisch-ästhetische Erziehung, die sich mit diesen thesenhaft umrissenen Inhalten auseinandersetzt, wird verstärkt erwachsenenpädagogische Anschlüsse knüpfen.
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Peez, Georg: Acht Thesen zur Zukunft der künstlerisch-ästhetischen Erwachsenenbildung. In: Schulz, Frank (Hg.): Perspektiven der künstlerisch-ästhetischen Erziehung. Texte zum Leipziger Kolloquium 1996 anläßlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Günther Regel, Seelze / Velber (Erhard Friedrich Verlag, Reihe Friedrich-Forum) 1996, S. 228 – 230