Georg Peez
Vermittlungsprozesse sind ein zentraler Bezugspunkt der Kursleitertätigkeit in der Erwachsenenbildung. Um Teilnehmenden in Kursen der Kulturellen Bildung Inhalte aus dem Bereich von Kultur und Kunst zu vermitteln, brauche ich als Kursleiter angemessene Methoden. Welche Methoden aber als angemessen gelten können, ist von sehr unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Faktoren und Kriterien abhängig. Ob die Erwachsenenbildungstheorie durch das „Primat der Praxis“ eine Theorie der Methode weitgehend verhindet (vgl. Luckas im vorangehenden Beitrag; Luckas 1994a, S. 173ff., Luckas 1994b, S. 140ff.), werde ich nicht erörtern. Ich reflektiere im folgenden im Anschluß an Helga Luckas vielmehr, wie sich die Anforderung nach – zumindest im nachhinein – methodisch begründbaren Vermittlungsleistungen sowie die Entwicklung von Methodenentscheidungen aus Sicht der Praxis darstellen. Dies tue ich exemplarisch anhand meiner Tätigkeit als Leiter von Mal- und Zeichenkursen in der Erwachsenenbildung. Ich werde zu dem Schluß kommen, daß kunst- und kulturpädagogisches Handeln weitgehend durch eklektische, situative und kontextuell anschlußfähige Methodenwahlen bestimmt wird. Die Notwendigkeit nach einer Systematisierung dieser Art der Methodenwahl innerhalb eines theoretischen Modells stellt sich m.E. aus Sicht der Praxis als nicht dringlich, denn ihre Handlungsstrategien sind pragmatisch gesehen primär auf Akzeptanz des Angebots durch die Teilnehmenden ausgerichtet.
Ist Kunst vermittelbar?
Die Möglichkeit einer Vermittlung von Kunst, einer Vermittlung dessen, was die Kunst zur Kunst macht, wird in der kunstpädagogischen Diskussion inzwischen oftmals grundsätzlich angezweifelt (Ehmer 1994; Selle 1994; Ehmer 1995). Freilich lassen sich bildnerische Techniken lehren und vermitteln, wie etwa das Schraffieren mit dem Bleistift, aber wer das Spezifische von Kunst vermitteln will, macht sie sich gefügig, er „alphabetisiert“ sie (Mollenhauer 1990; Lenzen 1990, S. 189ff.; Duncker 1997). Er unterrichtet hierdurch an der Kunst vorbei. Die Entwicklung der modernen und zeitgenössischen heterogenen Kunstrichtungen macht nämlich deutlich, daß sich Kunst und Kunsterfahrung durch die Verweigerung von Allgemeinheit und durch Irritation der Rezipienten stetig dem vermittelnden und verstehenden Diskurs zu entwinden versuchen (Sontag 1968). Eine solche Verweigerungshaltung mit zu lehrenden und anzuwendenden pädagogischen Methoden vermitteln und gefügig machen zu wollen, wäre kontraproduktiv.
Die Basis dessen, was kunstdidaktische Überlegungen bisher prägte und was alle traditionellen pädagogischen Methodenentscheidungen überhaupt erst legitimierte, wird durch diesen Ansatz radikal in Frage gestellt. Methodengeleitete Vermittlung gilt demnach nicht mehr als eine der Kunst angemessene Kategorie, weil der Inhalt möglicher Kunstvermittlung nicht reflexiv verfügbar ist. Dies hat zum einen weitreichende Konsequenzen für die kunst- und kulturpädagogische Praxis und zum anderen Rückwirkungen auf die Aufgaben und Ziele kunst- und kulturpädagogischer Studien- und Ausbildungsgänge.
Kursleitende in der Kulturellen Bildung geraten unversehens unter einen Rechtfertigungsdruck. Trotz allem – und das ist das Paradoxon, mit dem Kursleitende selbst unter Anerkennung der oben konturierten Prämisse umgehen müssen – versuchen sie weiterhin die Gelenkfunktion zwischen der Kunst einerseits und den Kursteilnehmenden andererseits zu erfüllen (Bastian 1997, S. 143ff.; Stang/Peez u.a. 1998).
Muß sich die Kulturelle Bildung – folgt sie dieser Darstellung – um das Problem der Vermittlung durch Methoden überhaupt nicht mehr kümmern? Wird die Frage nach einer Methodik für sie obsolet oder zumindest zu einem „blinden Fleck“? Wird das Erkennen dieses „blinden Flecks“ kultiviert und zu einer Tugend; gewissermaßen zu einem „Kunstgriff“? Läßt sich dieser vermeintliche „Kunstgriff“ auf andere Felder der Erwachsenenbildung übertragen? Die Frage, wie kunst- und kulturvermittelnde Tätigkeit methodisch theoretisch legitimiert dennoch weiter zu verfolgen sei, beantworte ich hier nicht allgemein und theoretisch abgesichert. Ziehe ich ein Zwischenfazit aus diesen Überlegungen, dann schließt sich für mich die Erkenntnis an, daß mein Vorgehen bei der Methodenwahl in der kunst- und kulturpädagogischen Praxis wohl vorwiegend als eklektisch oder noch treffender als pragmatisch bezeichnet werden kann. Ich wähle jeweils die mir situativ adäquat erscheinende Methode aus, die angesichts meiner Berufserfahrung momentan einen größtmöglichen Erfolg für kreative und produktive Anschlüsse verspricht. Meine Methodenwahl ist somit nicht beliebig, sondern kontingent, d.h. zumindest im nachhinein ist es mir mittels Reflexion möglich, meine Wahl zu begründen – unabhängig davon, ob die Wahl sich im Nachhinein auch als „richtig“ erweist.
Methodenwahlen am Beispiel
Einige Formen solch eklektisch-situativer Methodenwahl werde ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Systematisisierung kurz schildern, um jeweils in einem zweiten Schritt Voraussetzungen bzw. Ursachen meiner Methodenwahl sehr knapp darzulegen: Wie, wo und warum habe ich selbst diese konkrete Vermittlungsmethode erfahren, gelernt oder entwickelt?
– Um die Spezifik schöpferischen und künstlerischen Arbeitens zu vermitteln, versuche ich als Kursleiter die intensive Wahrnehmung der Kursteilnehmenden zu fördern und zur Transformation solcher Wahrnehmungserfahrungen in eine bildnerische Umsetzung anzuregen. Ich gebe den Teilnehmenden eines Zeichenkurses z.B. Weintrauben oder Johannisbeeren, von denen sie eine oder wenige in den Mund nehmen. Aufgabe ist, die Wahrnehmung der Frucht im Mund – das Fühlen und Schmecken – in Kreidezeichnungen umzusetzen. Diese Übung ermöglicht sowohl kontemplatives wie auch expressiv-impulsives Arbeiten. Ich lernte sie in einem Fortbildungsseminar für Kursleitende der Kulturellen Bildung von einer anderen Seminarteilnehmerin.
– Künstlerischen Prozessen sind immer auch Phasen des Scheiterns immanent. Wer nicht die Möglichkeit hat, diese im Bildnerischen zu durchleben und produktiv zu bearbeiten, hat ein Charakteristikum von Kunst nicht erfahren. Methodisch vermittele ich dies in manchen meiner Kurse dadurch, daß ich – konträr zu herkömmlichen didaktischen Empfehlungen – am Beginn eines Kurses die Anforderungen an die Teilnehmenden bewußt viel zu hoch ansetze, um ein Scheitern zu provozieren. Ein großer Teil des weiteren Kursverlaufs wird durch das produktive Aufarbeiten dieser Erfahrung bestimmt. Diese Methode entwickelte ich aus pädagogischen Praxiserfahrungen und erprobte sie zunächst behutsam experimentell.
– In meinen Kursen halte ich Kurzvorträge zu kunstgeschichtlichen Themen. Diese Methode habe ich in meinem Studium in kunstgeschichtlichen Vorlesungen als sehr erkenntnisfördernd erfahren, weil mir hierdurch u.v.a. das Prinzip der Selbstreferenz im Kunstsystem anschaulich vermittelt wurde.
– Ich übernehme Methoden und Übungen aus dem umfassenden Fundus der Profession und variiere diese (beispielsweise Itten 1963 oder Edwards 1979).
– Freies Experimentieren ist ein wichtiges Merkmal künstlerischen Tuns. Eine meiner Vermittlungsaufgaben als Kursleiter sehe ich darin, eine experimentelle Haltung bei den Kursteilnehmenden zu fördern. Hierfür stelle ich einen Tisch bzw. einen Ort mit einer Fülle verschiedenster Materialien zur Verfügung. Dieses Angebot besteht während des gesamten Kursverlaufs. Es kann von allen Teilnehmenden ohne Aufforderung und Instruktionen des Kursleiters flexibel genutzt werden. Meist geschieht diese Nutzung in sich spontan bildenden Kleingruppen. Formen des selbstorganisierten Lernens entstehen. ‚Entdeckungen‘ in den Kleingruppen kommen allen Kursbeteiligten zugute. Aus ersten, teils zufälligen Ansätzen entwickelte sich dieser Ansatz zu einer Methode, weil ich auch beobachtete, mit welcher Intensität Lernen außerhalb des von mir unmittelbar betreuten Kursarrangements möglich ist.
– Zeichnen in der Natur markiert eine tiefsitzende tradierte bürgerliche Vorstellung vom Kunstschaffen. Dem Bedürfnis, dieses romantisch geprägte Lebensgefühl einmal selbst erfahren zu können, komme ich in meinen Kursen nach. Die Bedeutung dieser Methode des gemeinsamen Malens und Zeichnens in der Landschaft wurde mir durch eigene qualitativ-empirische Forschung bewußt. Forschungsmaterial hierfür waren u.a. schriftliche Statements von Teilnehmenden meiner Kurse sowie Analysen von Fotos von Lehr- und Lernsituationen in meinen Kursen. Desweiteren verglich ich diese Fotos mit Darstellungen von Menschen und deren Körperhaltungen in der Natur auf Zeichnungen der Romantik.
– Spezifika eines Kunstprozesses können zudem sein: Zustände der Erschöpfung produktiv zu nutzen, die kognitive Kontrolle zeitweise hintanzustellen sowie den Zufall als Gestaltungselement herauszufordern. Eine Aufgabenstellung, die zunächst stetig zu Ablehnung bei den Teilnehmenden führt, dann aber im Vollzug als überaus anregende Methode erlebt wird, lautet, mit Farbresten am Tagesende – ohne die Angst „kostbares“ Malmaterial zu „verschwenden“ – in kurzer Zeit spontan ein Bild zu malen. Oftmals sind die Teilnehmenden überrascht, zu welch formal überzeugenden, für sie neuen Ausdruckformen sie im Zustand der Erschöpfung und Müdigkeit gelangen. Diese Übung vermittelt die Erfahrung, daß die Teilnehmenden jenseits der bewußten Kontrolle noch ihnen bisher unentdeckt gebliebene Fähigkeiten besitzen. Dieses Verfahren entwickelte ich aus Initiationsprozessen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, durch eigene biographisch geprägte intensive Kunstpraxis sowie plötzliche didaktische Ideen.
Vorläufiges Fazit
Ein locker geknüpftes Netz von Handlungsanlässen und Denkentwürfen, die sich vor allem auf das Beobachten, Hinhören, Beschreiben und Ausdeuten von Lern-, Erfahrungs- und Aneignungsprozessen beziehen, scheint in der Praxis eher die Methodenentscheidungen und -entwicklung zu begünstigen als wissenschaftlich abgesicherte pädagogische Modelle.
Eine Antwort auf die Frage, ob ich den Kursteilnehmenden Kunst durch mein pädagogisches Handeln vermitteln kann, verbleibt im „blinden Fleck“ meiner Praxisreflexionen. Ich kann mich einer Antwort hierauf nur indirekt annähern. Die nicht-lineare Vermittlung aber macht m.E. die risikoreiche Spannung kunst- und kulturpädagogischer Situationen aus. Sie gibt den Beteiligten kreative Energien und die Freiheit, alles auch ganz anders angehen zu können (Peez 1996). Sie ist konstitutiver Motor für Veränderung und Bewegung.
„Ich möchte Nebel malen lernen.“ So lautete die Erwartung einer Teilnehmerin in einem meiner Kurse (Peez 1994). Das Bedürfnis, sich dem an sich Unlehrbaren – in der Metapher des Nebels ausgedrückt – durch methodisch aufbereitetes Lernen innerhalb pädagogischer Situationen anzunähern (Kahl 1997, S. 175), wird hier aus Sicht der Teilnehmenden nochmals deutlich. Das Trübe und Diffuse der Inhalte verbindet sich metaphorisch mit einer klaren Methodenerwartung.
Literatur
Bastian, Hannelore: Kursleiterprofile und Angebotsqualität. Frankfurt a.M. 1997Duncker, Ludwig: Ästhetische Alphabetisierung als Aufgabe der Elementarbildung. In: Grünewald, Dietrich u.a. (Hrsg.): Ästhetische Erfahrung. Seelze 1997, S. 165-170
Edwards, Betty: Drawing on the Right Side of the Brain. Los Angeles/Boston USA 1979
Ehmer, Hermann K.: Kulturarbeit und Kunsterfahrung – am Ende doch ein Widerspruch? In: Selle, Gert/Thiele, Jens (Hrsg.): Zwischenräume. Oldenburg 1994, S. 10-19
Ehmer, Hermann K.: Die Kunst als Kunst verstehen. In: Kunst + Unterricht, Heft 193/1995, S. 12-13
Itten, Johannes: Mein Vorkurs am Bauhaus. Ravensburg 1963
Kahl, Iris: Der Bildungswert von Mal- und Zeichenkursen. Frankfurt a.M. 1997
Lenzen, Dieter (Hrsg.): Kunst und Pädagogik. Darmstadt 1990
Luckas, Helga: Die Methodenreflektion in Schule und Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn 1994a
Luckas, Helga: Die Methodenvergessenheit der Erwachsenenbildung. In: Der pädagogische Blick, Heft 3/1994b, S. 140-147
Mollenhauer, Klaus: Die vergessene Dimension des Ästhetischen in der Erziehungs- und Bildungstheorie. In: Lenzen, Dieter (Hrsg.): Kunst und Pädagogik. Darmstadt 1990, S. 3 – 17
Peez, Georg: „Ich möchte Nebel malen lernen.“ Theorieelemente erfahrungsoffenen Lernens in der kunstpädagogischen Erwachsenenbildung. Frankfurt a.M. 1994
Peez, Georg: „Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“. Skizzen zum Verständnis von Kreativität und Bildung in interdisziplinären Selbstorganisationsmodellen. In: Hessische Blätter für Volksbildung, Heft 3/1996, S. 234-242
Selle, Gert: Das kunstnahe ästhetische Projekt. In: Selle, Gert u.a. (Hrsg.): Anstösse zum ästhetischen Projekt. Hagen/Loccum/Unna 1994, S. 50-65
Sontag, Susan: Gegen Interpretation, 1964. In: Sontag, Susan: Kunst und Antikunst. Reinbek 1968, S. 9-18
Stang, Richard/Peez, Georg u.a.: Kursleitung Kulturelle Bildung. Frankfurt a.M. 1998
Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Peez, Georg: Der „blinde Fleck“ in der Methodenreflexion aus Sicht der Praxis kultureller Erwachsenenbildung. In: Hessische Blätter für Volksbildung, Heft 3, 1998, S. 294 – 298