Jugendliche Breaker. Eine ikonologisch orientierte Fotoanalyse

Sandra Setzkorn / Georg Peez

Forschungsfokus

Eine immer stärkere Differenzierung verschiedener (Sub-) Kulturen, mit denen junge Menschen ihr Lebensgefühl ausdrücken, ist in unserer Gesellschaft zu beobachten (Kracht 1997; www.jugendszenen.com; http://hiphop.archetype.de). Dies geschieht vor allem mit ästhetischen Mitteln: Musik, Bewegung, Kleidung oder Sprache, weshalb man von "Jugendästhetik", dem "Bereich ästhetischer Hervorbringungen von Jugendlichen" (Maset 1997, S. 15), sprechen kann. Zugleich sind Jugendliche das "Klientel" für Kunstpädagogik, sei es in der Schule oder außerschulisch. Deshalb liegt es im kunstpädagogischen Interesse, die ästhetischen Äußerungen Jugendlicher zu erkunden, um ihnen und ihrem Lebensgefühl adäquate bildnerische Angebote machen zu können (u. a. Hartwig 1978; Glas 1999; Meyer 2002); freilich ohne die Jugendästhetiken vereinnahmen zu wollen (Maset 1997, S. 18). Ein Teil dieser Jugendkultur ist die Hip-Hop-Szene (Androutsopoulos 2003; Mikos 2003), die u.a. Rappen, DJ-ing, Graffiti oder den in der Forschung eher marginal beachteten Breakdance (tänzerisch-akrobatische Darbietung zu Rapmusik) (Schwann 2002; Nohl 2003) beinhaltet.

Forschungsmaterial

Zu Beginn des Jahres 2005 nahm die Verfasserin eine Serie von 36 Fotos mit einer analogen Spiegelreflexkamera im Zeitraum von ca. 60 Minuten auf, die Trainingssituationen junger Breakdancer aus dem Ruhrgebiet (Deutschland) im Alter zwischen 12 und 19 Jahren zeigen. Anhand farbiger Papierabzüge wurden aus diesem Material drei Fotografien nach dem Kriterium der Kontrastierung mit möglichst unterschiedlichen Ansichten ausgewählt (Mietzner/ Pilarczyk 2003, S. 28). Ferner wurde ein kurzes Leitfaden-Interview mit einem auf den Fotos abgebildeten Breakdancern erhoben und verschriftlicht.

Zur qualitativ-empirischen Methode

Ein Verfahren, mit dem Kulturaspekte anhand von Bildern erforscht werden können, ist die Ikonologie. Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky (1892-1968) entwickelte in den 1920er- und 1930er-Jahren vor allem anhand von Renaissance-Kunst ein Analyseverfahren, das auf dem Dreischritt "vor-ikonographische Beschreibung", "ikonographische Analyse" mit dem Ziel der "ikonologischen Interpretation" basiert. In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird dieses Verfahren heute u. a. deswegen angewandt (Bickelhaupt/ Buschmann 2001; Mietzner/ Pilarczyk 2003; Pilarczyk 2003; Peez 2006, S. 51ff.), weil Panofsky die verschiedenen Bedeutungsebenen von Kulturäußerungen am Beispiel einer alltäglichen Begebenheit erläuterte: "Grüßt mich ein Bekannter auf der Straße durch Hutziehen, ist das, was ich unter einem formalen Blickwinkel sehe, nichts als die Veränderung gewisser Einzelheiten innerhalb einer Konfiguration, die einen Teil des allgemeinen Farben-, Linien- und Körpermusters ausmacht, aus dem meine visuelle Welt besteht." (Panofsky 1975, S. 36) Erfasse ich durch Einfühlung zudem anhand gewisser Gebärden dieses Bekannten seine Stimmung, ob er mir gegenüber gleichgültig, feindselig oder freundlich ist, so gehört dies nach Panofsky zur Klasse der "primären oder natürlichen Bedeutungen" (Panofsky 1975, S. 50) und lässt sich durch eine "vor-ikonographische Beschreibung" festhalten.
Die sekundäre oder konventionale Bedeutung wird im Unterschied hierzu z. B. von Anekdoten oder Allegorien symbolhaft gebildet (Panofsky 1975, S. 50). Um beim zitierten Beispiel zu bleiben: "Meine Erkenntnis jedoch, dass das Hutziehen für ein Grüßen steht, gehört einem völlig anderen Interpretationsbereich an. Diese Form des Grüßens ist der abendländischen Welt eigentümlich und ein Überrest des mittelalterlichen Brauchtums: Bewaffnete pflegen die Helme abzunehmen, um ihre friedlichen Absichten und ihr Vertrauen in die friedlichen Absichten anderer kundzutun. Weder von einem australischen Buschmann noch von einem alten Griechen könnte man die Erkenntnis erwarten, dass das Ziehen des Huts (…) auch ein Zeichen der Höflichkeit (ist)." (Panofsky 1975, S. 37) Dieser "andere Interpretationsbereich" erschließt sich durch die ikonographische Analyse, durch die Hinzunahme von Quellen – sei es beispielsweise Literatur oder seien es Informationen von Experten.
Auf einer dritten Stufe "enthüllt" ein "konventionelles Grüßen", was die "Persönlichkeit" des Grüßenden ausmacht. "Ein geistiges Porträt des Mannes könnten wir aufgrund dieser einzelnen Handlung nicht herstellen, sondern nur dadurch, das wir eine große Anzahl ähnlicher Beobachtungen aufeinander abstimmen und sie im Zusammenhang mit unseren allgemeinen Informationen über seine Epoche, Nationalität, Klasse, intellektuelle Tradition und so fort interpretieren." (Panofsky 1975, S. 38) All diese Aspekte sind implizit aber auch in der einzelnen Handlung des Hutziehens enthalten. Diese dritte Stufe der Bedeutung nennt Panofsky "eigentliche Bedeutung oder Gehalt" (Panofsky 1975, S. 40); sie lässt sich mittels der ikonologischen Analyse erreichen. Ihr Ziel ist die "Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen wesentliche Tendenzen des menschlichen Geistes durch bestimmte Themen und Vorstellungen ausgedrückt wurden" (Panofsky 1975, S. 50).

Forschungsfragen

Diese Fallstudie fokussiert den Breakdance, auch Breaking genannt, mit folgenden Fragen:
– Wie verhalten sich Jugendliche beim Breakdance in einer Trainingsstunde? (durch vor-ikonographische Beschreibung zu beantworten)
– Welche Bedeutung haben Gleichgesinnte für diese Jugendlichen? (durch ikonographische Analyse zu beantworten)
– Spielt die Kleidung bei der Suche dieser Jugendlichen nach Identität eine Rolle? (durch ikonographische Analyse zu beantworten)
– Was sind zentrale Aspekte des Lebensgefühls von Breakern? (durch ikonologische Analyse zu beantworten)

Abb. 1 Abb. 1 (Detail)

Vor-ikonographische Beschreibung

Foto 1 (Abb. 1)

Mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen sieht man einen Innenraum mit glänzendem Parkettboden in der gesamten unteren Bildhälfte. Horizontal, leicht nach rechts abfallend verläuft die Grenze zwischen der Parkettbodenfläche und dem Rest des Raumes. Große Spiegelflächen, die das Parkett zum Teil reflektieren, füllen weite Bereiche des Fotos. Das Bild ist zudem vertikal zweigeteilt: Durch die Bildmitte verläuft von unten nach oben die Grenzlinie einer der großen Spiegelflächen. Auf diese Weise ist rechts und links das Gleiche achsensymmetrisch abgebildet. Drei Personen füllen die Szenerie (Detail: Abb. 1a) in der linken Bildhälfte, die rechts gespiegelt ist: zwei männliche Personen, einer von ihnen in der Ausführung einer Bewegung horizontal seinen Körper auf zwei Händen über dem Parkettboden haltend und ein anderer aufrecht schreitend, die Bewegung des Ersten beobachtend. Ein junge Frau sitzt im hinteren Teil des Raumes auf der Kante einer bühnenartigen Fläche. Sie trägt Bluejeans, die an den Enden einige Zentimeter gekrempelt sind, schwarze Sportschuhe, einen schwarzen Pullover und eine bis über die Oberschenkel reichende schwarze Jacke. Nahe der Frau liegen Taschen, Kleidungsstücke und Sport-Utensilien. Zudem kann man in den hinteren Ecken des Raumes eine Musikanlage und Boxen erkennen. Große Scheinwerfer und eine "Disco-Kugel" aus Spiegelglasmosaik sind an der Saaldecke angebracht.
Der junge Mann im vorderen Teil des Bildes "schwebt" fast waagerecht mit der Bauchseite nach unten über dem Boden, während er seinen Oberkörper mit den Armen unter dem Becken abstützt. Man sieht seinen dunkelhaarigen Hinterkopf. Der rechte Unterschenkel ist nach hinten angewinkelt und befand sich im Moment der Aufnahme in Bewegung, da der Fuß verwischt abgebildet ist. Dieses Bein verdeckt das linke Bein, welches sich seitlich vom Körper abwinkelt. Der Fuß ist verschwommen, was ebenfalls – bei längerer Belichtungszeit der Kamera – auf eine Bewegung hinweist. Der Junge trägt ein rotes Shirt mit langen Ärmeln, eine weiße Trainingshose mit grünen Streifen und weiße Turnschuhe. Aufgrund der Bewegung am Boden scheint sein Shirt hoch gerutscht zu sein: Man sieht drei weitere Säume von Hemden in verschiedenen Farben, darunter ein Stück seines Rückens. Die stehende Person ist leicht unscharf auf dem Foto aufgenommen. Sie steht senkrecht mit hängenden Armen und ist dem Blick und Kopf des Jungen auf dem Boden seitlich zugewandt. Ihr linkes Bein befindet sich im Ausfallschritt nach hinten. Diese Körperhaltung deutet auf ein Gehen hin. Die Füße werden jedoch von der Person am Boden verdeckt. Der stehende junge Mann trägt eine weiße Trainingshose mit einem dunklen, violetten Streifen, ein schwarzes ärmelloses Shirt und eine dunkle Kappe mit Schirm. An beiden Armen sieht man Bandagen für Handgelenke und Ellbogen – teils gepolstert – , in weiß-blau und türkis. Der stehende Junge scheint den in der Bewegung befindlichen zu umschreiten, ihn zu beobachten. Dieser wendet sich mit dem Gesicht in Richtung des Stehenden.

Abb. 2

Foto 2 (Abb. 2)

Die Kamera ist nah auf die zwei jungen Männer gerichtet, die – der Kleidung und äußeren Erscheinung nach zu urteilen – bereits auf Foto 1 zu sehen waren. Sie stehen sich – die Arme in Bewegung, den Blick direkt aufeinander gerichtet – gegenüber. Man sieht das Gesicht des Dunkelhaarigen, der zuvor eine Übung am Boden ausführte, und den Rücken des anderen, der auf Foto 1 mit Schirmmütze aufrecht ging. Beide sind von den Hüften aufwärts auf dem Foto zu sehen.
Verursacht durch die leichte Schieflage der Kamera nach rechts wurde eine die Dynamik der Szene betonende Wirkung erzielt. Die beiden Personen stehen deshalb nicht ganz senkrecht, sondern leicht nach rechts gekippt im Bild. Der Junge mit dem roten Shirt ist auf der rechten Bildseite von vorne wiedergegeben. Die Kameraschärfe liegt auf seinem Gesicht. Er ist, vom Betrachter aus gesehen, leicht nach rechts gedreht. Seine Oberarme sind fast rechtwinklig von den Schultern weg abgespreizt. Die Unterarme und Hände sind zur Körpermitte gedreht und die Hände sind etwas verschwommen, was ebenfalls auf eine Bewegung schließen lässt. Sein Mund ist wenig geöffnet, als wolle er etwas sagen. Oder dies könnte ein Indiz für Versunkenheit sein. Der Blick ist konzentriert auf sein Gegenüber mit der Schirmmütze gerichtet. Seine Konzentration scheint aufgeteilt zu sein, auf sich, seinen Körper und die Bewegungen seines Gegenübers.
Der dunkel bekleidete junge Mann mit dunkler Schirmmütze befindet sich in der linken Bildhälfte, sein rechter Arm und das Gesäß werden von der Bildecke links unten angeschnitten. Der rechte Arm liegt dem Betrachter am nächsten, da er sich in der Bewegung durchgestreckt hinter dem Rücken befindet. Am Ellbogen ist eine weiße, gepolsterte Bandage befestigt. Auf dem schwarzen Tank-Top ist ein weißer Schriftzug im Bereich des oberen Rückens zu erkennen. Der linke, nicht sichtbare Arm befindet sich gerade in einer Bewegung waagerecht zur Brustlinie, einen Teil der Hand erkennt man vor der rechten Oberkörperhälfte verschwommen. Auch der Blick dieser Person scheint ihrem Gegenüber zugewandt, man sieht jedoch den Kopf von hinten. Rechts im Bild, aber abseits des Aufmerksamkeitsfokus’ der beiden jungen Männer befinden sich rote Stand-Boxsäcke.

Abb. 3

Foto 3 (Abb. 3) (Beschreibung komprimiert)

Auf dem dritten Foto ist ein weiterer Junge abgebildet, der sich in einer handstandähnlichen Bewegung befindet. Man sieht jedoch nur dessen Oberkörper waagerecht im Bild. Die Arme führen fast senkrecht durch die Bildmitte, jeder Arm wird kurz vor dem Ellenbogen vom Bildrand abgeschnitten. In der linken Bildhälfte befindet sich der Kopf dieses Jungen mit blonden, gelockten, kurz geschnittenen Haaren. Er blickt nach oben, in die Richtung, wo sich außerhalb des Bildes wohl seine Füße befinden. Der rechte Arm des Jungen stützt sich am Boden ab. Der linke Arm ragt nach oben. Außerdem blickt der Betrachter in seine linke, hell behaarte Achselhöhle. Bekleidet ist der Oberkörper des Jungen mit einem blauen Tank-Shirt, mit weißer Aufschrift und zwei Aufnähern in Brusthöhe. Durch die Haltung ist das Shirt am Bauch ein Stück verrutscht, ein Teil der rechten Bauchseite ist zu sehen. Der Junge trägt eine schwarze Jogginghose. Das dunkle Shirt und die schwarze Hose bilden auf der rechten Hälfte des Fotos einen starken Kontrast zum hellen Hintergrund des Licht reflektierenden Parkettbodens. Am Hals, an den Armen und auch am freiliegenden Bauch sieht man seine angespannten Muskeln. Sein Gesichtausdruck wirkt sehr konzentriert.

Ikonographische Analyse

Für die ikonographische Analyse müssen über die Bildbeschreibung mittels praktischer, alltäglicher Erfahrungen hinaus Informationen zu den im Foto abgebildeten Sachverhalten zusammengetragen werden. Für diesen Schritt wurde vor allem im Internet und in der Literatur recherchiert und es wurde ein Leitfaden-Interview mit einem der Fotografierten (Foto 3) erhoben.

Breakdance innerhalb des Hip-Hop

Die fotografierten drei jungen Männer sind so genannte Brakedancer oder kurz Breaker. Die Tanzform des Breakdance hat seine Wurzeln in den 1970er Jahren in den US-amerikanischen Großstadtghettos. Im Rahmen von Subkulturen vorwiegend afroamerikanischer, männlicher Jugendlicher entwickelten sich unterschiedliche Tanzstile (in Deutschland ab 1983; Nohl 2003, S. 297ff.). Sie basieren insbesondere auf einer an Aggression und Verteidigung anknüpfenden Selbstdarstellung (Kimminich 2003). Im Breakdance vereinen sich verschiedene Bewegungsabläufe, Rhythmusgefühl und Artistik in einem Tanzstil, der die Energie der Musik und das Lebensgefühl der Breaker widerspiegeln soll (Peters 2005). Durch das Beobachten der Bewegungen anderer Breakdancer werden im Training verschiedene Bewegungsabläufe ("Moves") abgeschaut und eingeübt. Das Ziel eines Breakers jedoch ist es, seinen eigenen, individuellen Tanzstil zu entwickeln.
Das Breaken ist eine jugendkulturelle Ausdrucksform im öffentlichen urbanen Raum, die man zur heutigen Hip-Hop-Szene zählt. Es gehört neben anderen Disziplinen wie Rappen, Graffiti und DJ’ing zu dieser Jugendkultur (Androutsopoulos 2003). Hip-Hop-Sein bedeutet vor allem auf einem dieser Gebiete aktiv zu sein. Es meint Selbstinszenierung (Entfaltung eines "Style"), mit dem Ziel, Lob und Anerkennung ("Props") von Mitstreitern – u. a. in Wettbewerben ("Battles") – zu erhalten und sich in der Szene einen Namen zu machen (Schwann 2002, S. 55; Androutsopoulos 2003, S. 12; Peters 2005).

Foto 1 und Detail (Abb. 1a)

Auffällig ist, dass alle sichtbaren Wandflächen im Gegensatz zum klassischen Sportstudio für Kraftsport verspiegelt sind. Die Scheinwerfer an der Decke, wie auch die "Disco-Kugel" aus Spiegelglasmosaik deuten auf eine show- oder darstellungsorientierte Nutzung des Raumes hin.
Bei der abgebildeten Bewegung – im Breakdance auch "Pose" genannt – handelt es sich um einen "Float" oder "Table Top". Beide Figuren müssen mit großem Kraftaufwand in einer Drehbewegung umgesetzt werden, wobei nur die Hände Bodenkontakt haben und der Körper sich in der Waagerechten befindet. Durch angewinkelte Beine, wie auf dem Foto zu sehen, wird der "Float" zum "Turtle" ("Scorpion") (Kimminich 2003, S. 30).
Man kann schließen, dass es sich um eine Situation handelt, die im weitesten Sinne von "pädagogischer Kommunikation" geprägt ist (Kade/ Seitter 2005). Entweder lernt die stehende Person durch Beobachtung von der sich gerade in Aktion befindlichen Person oder sie kontrolliert die Agierende. Das Lernen durch Beobachtung und Nachahmung ist die beim Breakdance primär genutzte Aneignungsstrategie. Durch diese Beobachtung, wie sie auch in "Battles" geschieht, ist der Ausführende motiviert, perfekt zu tanzen und sich stark auf seinen Körper und dessen Bewegungen zu konzentrieren.

Foto 2

Bei der fotografierten Übung handelt es sich um eine bestimmte Disziplin im Breakdance, das so genannte Locking oder Popping. Diese Tanzstile sind durch die abgehackt wirkenden Bewegungen von Robotern inspiriert, bzw. durch die pochenden Membranen von Lautsprechern oder der elektrisierenden Wirkung von Strom. Wellenartige Bewegungen werden von Schlangen oder von Wasser abgeschaut (Kimminich 2003, S. 8f.). Es kommt hierbei ebenfalls auf Körperbeherrschung an, diesmal allerdings auf kleinste Kontraktionen der Muskeln und präzise Ausführungen der Bewegungen.

Foto 3

Mit dem auf Foto 3 abgebildeten Breaker wurde ein nachträgliches kurzes "Experten-Interview" (Meuser/ Nagel 1997) geführt.
"I.: Wenn du dir das Foto anguckst, was genau hast du da gemacht?
O.: Ja, ich hab da ’n Handstand auf einer Hand gemacht, mit, eh, mit ’ner Pose – die Beine angewinkelt. (…) Ich muss mich so darauf konzentrieren, dass ich das Gleichgewicht so halte.
I.: Und du guckst nach oben auf deine Hand und die Füße?
O.: Ja genau, ja das is’ einfach nur so, das kommt automatisch bei dieser Figur.
I.: Konntest du dabei auch in den Spiegel gucken?
O.: Ja, das ist etwas schwieriger. Wenn ich mich darauf konzentriere, in den Spiegel zu gucken, dann könnt’ das klappen.
I.: Aber dann hast du die Gefahr, dass du umkippst? Oder kannst du das dann länger halten?
O.: Jahha, ja, ich ja … doch, doch das geht schon.
I.: Das geht schon dabei in den Spiegel zu gucken?
O.: (zustimmend) Hm.
I.: Was für ’n Sinn hat das, wenn man in den Spiegel guckt?
O.: Hm, ja dann kann man sehen, wie man gerade aussieht, was man noch verbessern könnte. Also, dann sieht man Fehler oder halt wie gut es ist, wie schlecht es ist."

Die Spiegel sind zur Selbstkontrolle der Bewegungsabläufe nicht so wichtig, da sich der drehende und sich bewegende Breaker hierin kaum beobachten kann. Nur wenn er sich "darauf konzentrier(t), in den Spiegel zu gucken, dann könnt’ das klappen". Die gegenseitige Kontrolle der Breaker untereinander, wie auf Foto 1, ist also bedeutender. Die Frage nach dem Sinn des Spiegels beantwortet O. nach kurzem Nachdenken mit: "dann kann man sehen, wie man gerade aussieht" und er ergänzt: "was man noch verbessern könnte". Vor allem die erste Aussage ist zweideutig und kann auch das eigene Aussehen, das Outfit meinen.

Kleidung

Großen Raum nimmt im Interview mit dem Breaker O. das Thema Kleidung ein, hier steht zunächst die Funktionalität im Vordergrund:
"I.: Wir sehen jetzt hier auf den anderen Fotos (Abb. 1 u. 2) haben die, haben die anderen Jungs so Bandagen um die Handgelenke und Ellenbogen.
O.: Hm ja, zum Schutz.
I.: Zum Schutz, bei welchen Figuren?
O.: Hm, ja, auf dem Boden, wenn man ’ne Windmill macht, dann, eh, könnte es schon sein, dass man sich einige Sachen aufkratzt, aufschrammt. (…)
I.: Wieso trägt man die Schirmmützen?
O.: Mit den Schirmmützen kann man auch verschiedene Moves machen. (…) In irgendeiner Figur könnte man sich jetzt die Mütze vom … irgendwie durch die Gegend schmeißen und wieder auffangen."

Alle drei Breaker tragen ähnliche Kleidungsstücke: Jogginghosen mit Streifen an den Seiten (Abb. 1 u. 2), zwei tragen Tank-Tops mit weißer Schrift. Auf den meisten Kleidungsstücken sieht man kleine farbige Aufnäher. Die Kleidung entspricht einem gewissen konformen sportlichen Stil. Sie erfüllt die Funktion, Zeichen sozialer Zugehörigkeit und zugleich Träger individuellen Ausdrucks zu sein. Am Beispiel des Mädchens auf Abb. 1 ist deutlich zu sehen, dass sie nicht zur Breakergruppe gehört. Neben ihrer kauernden Körperhaltung deutet auch ihre Kleidung, die sich von der der anderen unterscheidet, hierauf hin. (Sie ist die Freundin des jungen Mannes mit Schirmmütze und in der gesamten Trainingssituation zurückhaltend und abwartend.)
Die Kameradschaft der Breaker drückt sich darüber hinaus durch den Umgang mit den Kleidungsstücken aus:
"I.: Und ich hab’ auch beobachtet als ich da war, dass ihr teilweise eure Shirts getauscht habt.
O.: Ja, das is’, man kann ja schlecht mit einem kurzen T-Shirt so schwierige Figuren auf dem Boden machen, da man sich ja dann bei manchen Figuren so – bei manchen Moves – die, äh, die Arme ein bisschen aufratscht.
I.: Und dann tauscht ihr die Sachen einfach, da habt ihr dann keine Probleme mit? Das ist dann ganz in Ordnung?
O.: Mhh, ja.
I.: Hosen tauscht ihr auch? Oder ist das eher selten?
O.: (lachend) Das ist eher seltener beim Training."

Dass Männer untereinander teils verschwitzte Kleidungsstücke austauschen und diese tragen, kommt im Bereich des Sports vor. Bei den "B-Boys" (Schwann 2002, S. 54) geht es aber nicht um den Aspekt des Souvenirs, wie beim Fußball, sondern neben den praktischen Erwägungen und der Symbolik der Vertrautseins miteinander auch um den zeitweisen Tausch modischer Garderobe. Der Hosentausch im Training wird von O. zwar als "seltener" bezeichnet, was implizieren könnte, dass er außerhalb des Trainings durchaus praktiziert wird.

Ikonologische Analyse

Sowohl in der Selbstdarstellung als auch im Wettkampf der Breaker ist die Komplementarität zwischen Introspektion und äußerer Kontrolle kennzeichnend. Perfektionierte Körperbeherrschung geht mit zwar sportlicher, aber betont lässig wirkender Kleidung einher. Eingebettet ist ihr Lebensgefühl in die jugendliche Peergroup, in die Gruppe der Breaker und in die Kultur des Hip-Hop. Dies vermittelt Selbstbestätigung und Sicherheit und schafft zugleich Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen und Jugendkulturen.
Das Training von Konzentration, Kraft und Körperkontrolle im Proberaum geht Tanzvorstellungen im urbanen öffentlichen Raum voraus. Die drei ausgewählten Fotos geben hierin einen Einblick. Das, was die Breaker als stimmiges Gesamtkonzept vielleicht später auf der Bühne expressiv vorführen, wird vorher hart erarbeitet. Das Bild des eigenen Körpers und seiner Bewegungen sowie der Kleidung wird daher über die Korrektur und Kontrolle der anderen Breaker und im Spiegel überprüft. Die Gruppe bietet Zugehörigkeit unter anderem durch bestimmte Accessoires und Kleidung, die sogar innerhalb der Gruppe ausgetauscht wird.
Diese interpretativ rekonstruierte selbstbezogene Beschäftigung mit dem eigenen Körper und Aussehen (Shusterman 1994, S. 223ff.) trägt narzisstische Züge. Narziss war der griechischen Sage nach ein in sein Abbild verliebter schöner Jüngling. Im Gegensatz zu Narziss braucht der Breaker jedoch die Bestätigung der Gruppe, eine gesellschaftlich durchaus übliche Form der sozialen Integration – insbesondere in der Adoleszenz (Ziehe 3 1979). Es wird viel Wert auf die Erarbeitung eines "Gesamtkonzeptes" des Selbstbildes, einer visuell und klanggestützten Performance (Androutsopoulos 2003, S. 12) gelegt, mit dem durch Kleidung, Tanzstil und Szeneverhalten ("hip" sein) ein bestimmter Ausdruck auf dem schmalen Grat zwischen Gruppenzugehörigkeit und Individualität verfolgt wird. Die Gruppe ermöglicht es jedoch erst, dass Individualität entsteht und sie sorgt – dadurch, dass jeder an seiner eigenen Individualität im Wettbewerb bzw. Wettkampf zu anderen interessiert ist – auch für den Erhalt dieser. Breakdance innerhalb des Hip-Hop steht in dieser Hinsicht exemplarisch für vergleichbare Sozial-Zusammenhänge in anderen Jugendkulturen.
Zusammenfassend ist Breakdance demnach ein zeitgenössisches jugendkulturelles Phänomen zwischen ästhetischer Produktion und sozialer Gruppenerfahrung. Er hat das Ziel, aus körpereigenen und kulturellen Ressourcen (u. a. Musik, Kleidung, Tanz-Bewegungen, Peergroup-Konformität) und aus symbolischen Handlungsrepertoires in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt eigene Strategien der Weltaneignung sowie ein performativ-dynamisches Körper- und Lebensgefühl zu formen und darzustellen.

Literatur

Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop. Globale Kultur – lokale Praktiken. Bielefeld (Transkript Verlag) 2003
Bickelhaupt, Thomas/ Buschmann, Gerd: Eindeutig zweideutige Symbolik. Eine ikonographisch/ ikonologische Interpretation. In: Belgrad, Jürgen/ Niesyto, Horst (Hg.): Symbol. Verstehen und Produktion in pädagogischen Kontexten. Baltmannsweiler (Schneider Verlag) 2001, S. 158-171
Glas, Alexander: Die Bedeutung der Darstellungsformel in der Zeichnung am Beginn des Jugendalters. Frankfurt a.M. (Lang) 1999
Hartwig, Helmut: Von Schiffen, Lehrherren und narzißtischen Psychoräumen. Kommentare zu Kinder- und Jugendzeichnungen. In: Kunst + Unterricht, Heft 51, Oktober 1978, S. 54 – 63
Kade, Jochen/ Seitter, Wolfgang (Hg.): Pädagogische Kommunikation im Strukturwandel. Bielefeld (Bertelsmann) 2005
Kimminich, Eva: Tanzstile der Hip-Hop-Kultur (PDF) (2003). In: http://.3sat.de/nano/cstuecke/51986/dvd/.pdf (Zugriff am 17.02.2006)
Kracht, Günter: Jugendkulturen – Orte des Staunens. In: Kunst+Unterricht 211/ 1997, S. 12-14
Maset, Pierangelo: Jugendästhetik in den neunziger Jahren. In: Kunst+Unterricht 211/ 1997, S. 15-19
Meuser, Michael/ Nagel, Ulrike: Das ExpertInneninterview. In: Friebertshäuser, Barbara/ Prengel, Annedore (Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim (Juventa) 1997, S. 481-491
Meyer, Bernhard: Graffiti – eine Kunstform Jugendlicher? Berlin (Tenea Verlag) 2002
Mietzner, Ulrike/ Pilarczyk, Ulrike: Methoden der Fotografieanalyse. In: Ehrenspeck, Yvonne/ Schäffer, Burkhard (Hg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Opladen (Leske + Budrich) 2003, S. 19-36
Nohl, Arnd-Michael: Interkulturelle Bildungsprozesse im Braekdance. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop. Bielefeld (Transkript Verlag) 2003, S. 297-320
Peez, Georg: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. München (kopaed) 2006
Peters, Thomas: Hip-Hop, 2005. In: http://www.jugendszenen.com, Portal für Szenenforschung (Zugriff am 17.02.2006)
Pilarczyk, Ulrike: Blick-Beziehungen. In: Ehrenspeck, Yvonne/ Schäffer, Burkhard (Hg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Opladen (Leske + Budrich) 2003, S. 309-324
Schwann, Karina: Breakdance, Beats und Bodrum. Wien (Böhlau) 2002
Stingl, Benjamin: Der Mensch als Monument. Anmerkungen zur medialen Ästhetik des Hip-Hop. In: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-05/05-2-23-d.htm (Zugriff am 17.02.2006)
Ziehe, Thomas: Pubertät und Narzissmus. Frankfurt a.M. (Europ. Verlags-Anstalt) 3 1979


Bibliografische Angaben zu diesem Text:
Peez, Georg / Setzkorn, Sandra: Jugendliche Breaker. Eine ikonologisch orientierte Fotoanalyse. In: Peez, Georg (Hg.): Fallforschung in der Kunstpädagogik. Ein Handbuch qualitativer Empirie für Studium, Praktikum und Unterricht, 2007, S. 175-186