Kunst- und Kulturpädagogik als Dienstleistung –

Von den Schwierigkeiten, mit den kommerziellen Aspekten in kunstpädagogischen Beziehungen umzugehen

Georg Peez

Am Ende meiner Kurse der kunstpädagogischen Erwachsenenbildung begleichen die Teilnehmer üblicherweise ihre "Schulden" für Arbeitsmaterial, das sie während des Kurses von mir bezogen haben. So rechnete ich auch mit einer Teilnehmerin ab: Ich nannte ihr den Betrag, sie gab mir einen Geldschein, ich gab ihr das Wechselgeld heraus, sie drückte mir das Wechselgeld zurück in meine Hand, aber ich gab ihr es wieder zurück; denn ich achte immer darauf, daß ich alle Mehrbeträge möglichst exakt herausgeben kann. Die Teilnehmerin war verwundert, wollte mir aber "etwas Gutes tun" und drückte mir das Geld wiederum in meine Hand und sagte hierzu: "Aber Herr Peez, jetzt nehmen Sie doch das Geld, Sie haben sich ja so viel Mühe mit uns gegeben. Wenn es mir in einem Restaurant gut geschmeckt hat und die Bedienung nett war, gebe ich ja auch gerne etwas mehr Trinkgeld." Über ihre Worte war die Teilnehmerin sofort erschrocken, unangenehm berührt, als ob sie etwas ausgesprochen hätte, was wohl wahr ist, was man aber nicht aussprechen durfte. Die anderen Teilnehmer waren über diesen "faux pas" sogar teilweise entrüstet: "Das hätten Sie nun wirklich nicht miteinander vergleichen können." Ich selbst wußte in diesem Augenblick nichts Passendes zu antworten. Mir ging diese Situation allerdings nicht aus dem Kopf: Was war es denn, was allen Beteiligten plötzlich unangenehm war?
Es lassen sich in diesem Zusammenhang grob zwei Aspekte der Beziehungen zwischen Teilnehmern und Leitern unterscheiden:
• Die fachliche, "professionelle, pädagogische Beziehung" (GIESECKE 1987, S. 100) mit unverzichtbaren persönlichen Anteilen bestimmt weitgehend den Kursverlauf.
• Ein allgegenwärtiger, aber meist verdrängter Beziehungsaspekt in Kursen der kunst- und kulturpädagogischen Erwachsenenbildung ist die kommerzielle Verkaufsbeziehung oder "Marktbeziehung" (EDDING 1988, S. 340) zwischen Leitern und Teilnehmern. Die Nachfrage der Teilnehmer bestimmt das Angebot der Leiter. Die Leiter (und auch evtl. deren Familienangehörige) sind finanziell in ihrer materiellen Existenz häufig von den Teilnehmern abhängig.
Meist werden diese beiden Beziehungsaspekte zwischen Teilnehmern und Leitern räumlich und zeitlich voneinander getrennt. D.h. der kommerzielle Aspekt, die Marktbeziehung, wird vor einem Kurs geregelt und dadurch abgeschlossen, daß die Teilnehmer ihre Kursgebühr meist auf ein Bankkonto überweisen. Im Kurs selbst werden diese Verkaufsbeziehungen, unter denen der Kurs zustande kam, dann nicht mehr angesprochen. Im weiteren Verlauf werden von seiten der Beteiligten Umgangsformen angewandt, um sich der Abhängigkeit der Leiter von den Teilnehmern möglichst nicht bewußt zu werden. Die in unterschiedlichen Maßen partnerschaftlich und persönlich ausgelegten pädagogischen Beziehungen zwischen Leitern und Teilnehmern dominieren in der bewußten Interaktion im Kurs.
Es stellt sich die Frage, warum die Beteiligten eine offene Darlegung der Aspekte ihrer Markbeziehung als eine mögliche Beeinträchtigung ihrer pädagogischen und persönlichen Beziehungen ansehen und diese Aspekte zu verbergen trachten. Als Antwort lassen sich mehrere Gründe anführen:
• Es ist Teilnehmern unangenehm, soviel "potentielle Macht" über die Veranstaltungen und auch die Leiter zu haben, da es sich hier ja um eine Umkehrung der vertrauten Rollen der Lehrer-Schüler-Beziehung handelt und die potentielle, gewohnte Autorität der Leiter untergräbt. Viele Teilnehmer können und wollen zunächst mit dieser neuen Rolle nicht umgehen, sie wollen Entscheidungen über die Kurse und Planungskompetenzen lieber den Leitern überlassen, wodurch es auch im Interesse der Teilnehmer liegt, ihre eigene Macht (in den allermeisten Fällen, Ausnahmen siehe unten) nicht darzustellen.
• Die Verbindung persönlicher Beziehungen zwischen den Teilnehmern und den Leitern, ohne die ja Pädagogik nicht auskommt (GIESECKE 1987, S. 100ff.), mit finanziellen Interessen wird für den persönlichen Umgang der Beteiligten als beeinträchtigend angesehen. Denn das Erbringen partnerschaftlicher Gefühle lassen sich die Leiter mit Geld bezahlen (EDDING 1988, S. 345). Die Tatsache, daß die Leiter der finanziellen Vergütung wegen mit den Teilnehmern persönliche Beziehungen innerhalb der pädagogischen Beziehungen eingehen, wird somit potentiell als "unmoralisch" empfunden.
• Leiter in der kunst- und kulturpädagogischen Erwachsenenbildung, die eventuell durch Verkaufsbeziehungen und durch kommerzielle Beweggründe bezüglich der Kursinhalte in ihrer künstlerischen und kulturellen Freiheit und Kreativität eingeengt sind, widersprechen dem gesellschaftlichen Verständnis und dem Selbstverständnis eines Kulturschaffenden bzw. Kunstpädagogen. Wird die Marktbeziehung verdrängt, scheinen die Leiter in ihrer Kreativität und kulturellen Freiheit weitgehend uneingeschränkt zu sein.
• Viele Teilnehmer möchten gerne dem alten bürgerlichen Wunsch, bei einem Künstler zu lernen, von einem Künstler in das Reich der Künste eingeführt zu werden, nachgehen (KEMP 1979, S. 81ff., BERGER 2 1986, S. 78ff.). Das Sprechen über Geld und den materiellen Wert einer kunst- und kulturpädagogischen Beziehung könnte hier den gewünschten ideellen Charakter kunstpädagogischer Angebote teilweise zerstören. Teilnehmer und Leiter "müssen" beide so tun, als seien sie gute Bekannte, die aus idealistischen Motiven heraus handeln, denn die Aufdeckung der Verbindung zwischen Kunst und Kommerz würde nicht in diese idealistischen Sphären passen.
 
Die Verdrängung der Verkaufsbeziehung führt in der Regel nur dann nicht zu offenen Konflikten, wenn alle Beteiligten sich darum bemühen, die Verkaufsbeziehungen im vermeintlich beiderseitigen Interesse eines harmonischen Kursablaufs zu verbergen und nicht anzusprechen. Gestört wird diese unbewußte Übereinkunft meist nur dann, wenn Teilnehmer unzufrieden sind, wenn sie an den professionellen Kompetenzen der Leiter zweifeln, auf ihre Rechte, als Käufer durch die kunstpädagogische Dienstleistung auch befriedigt zu werden, pochen und somit die Verkaufsbeziehung offen ansprechen und sich auf diese berufen. Diese unzufriedenen Teilnehmer versuchen hierdurch dann, ihren eigenen ihrer Meinung nach zu geringen Status und Einfluß auf das Kursgeschehen bzw. die Beziehung zum Leiter zu stärken. In diesem Sinne beschwerte sich eine unzufriedene Teilnehmerin einmal vor der Kursgruppe: "Und für so etwas muß ich 170 Mark bezahlen!" Leiter reagieren dann häufig dadurch, daß sie ihre finanzielle Abhängigkeit von den Teilnehmern weiter verborgen zu halten trachten, indem sie die Verkaufbeziehung nicht offen ansprechen, sondern um sich zu verteidigen, sich eher auf ihre professionellen Kompetenzen berufen; vor allem um nicht in die Rolle des Unterlegenen und des von Teilnehmer Abhängigen gedrängt zu werden. Leiter verweisen dann z.B. auf ihre Ausbildung, auf ihre Erfahrungen, auf die konkrete Kursausschreibung, führen also fachliche Argumente für ihr Verhalten an. Als letztes Mittel, um ihre Autorität zu wahren, können Leiter es sich auch erlauben, den betreffenden Teilnehmer aufzufordern, den Kurs zu verlassen. Um die Situation zu beruhigen, werden die Leiter aber wohl meist früher oder später auf die Wünsche der Teilnehmer eingehen, um Konflikte zu entschärfen, womit sich die unzufriedenen Teilnehmer letztendlich durchsetzen. Auch viele Leiter zeigen also durch ihre Versuche der Konfliktentschärfung ein Interesse daran, daß die Marktbeziehung nicht offen angesprochen und bewußt wird, sondern sie versuchen im Gegenteil, ihre Autorität durch das Verdrängen der Marktbeziehung und durch die Betonung der professionellen Beziehung zu stabilisieren.
 
Das Dilemma zwischen auf der einen Seite kommerziellen sowie auf der anderen Seite pädagogischen und persönlichen Aspekten in kultur- und kunst-pädagogischen Beziehungen verstärkt sich mit der Zeit: Je häufiger Teilnehmer Kurse bei einem bestimmten Leiter buchen, bezahlen und besuchen, desto freundschaftlicher wird oft die Beziehung zwischen beiden über Jahre hinweg. Diese Tatsache ermöglicht es aber den Beteiligten nicht, die finanziellen Aspekte ihrer Beziehungen leichter anzusprechen und gemeinsam zu reflektieren. Denn die finanzielle Abhängigkeit des Leiters vom Teilnehmer wird umso größer, je häufiger ein Teilnehmer Kurse bucht. Je länger man sich so persönlich kennt, desto eher verschweigt man die finanzielle Abhängigkeit. Von Teilnehmern wird, wie ich beobachtet habe, ab und zu eine indirekte Annäherung an dieses Thema versucht: Die Frage, ob der Leiter nicht nach so vielen Kursbesuchen einmal einen "Sonderpreis" für den nächsten Kurs machen könne, läßt sich eventuell in die Richtung deuten, daß der fragende Teilnehmer den Wert der freundschaftlichen Beziehung des Leiters zu ihm testen möchte.
 
Einen klaren Ausweg aus der beschriebenen Situation, des Verbergens der finanziellen Aspekte in erwachsenpädagogischen Beziehungen, und aus den Schwierigkeiten, die dieses Verbergen nach sich zieht, sehe ich nicht. Sicher ist, daß eine kunst- und kulturpädagogische Dienstleistung für ihren Erfolg neben pädagogischen, fachlichen und persönlichen Elementen in unserem Wirtschafts-system finanzielle Aspekte und Interessen beinhaltet.
Als Konsequenz dieser Überlegungen scheint es unverzichtbar, daß sich die Pädagogen, aber auch die Teilnehmer, darüber bewußt werden, inwieweit und auf welche Weise die Marktbeziehung Verhalten und pädagogisches Handeln beeinflußt. Hier zeigt sich die Notwendigkeit von Supervision für Kultur- und Kunstpädagogen besonders deutlich. Aber gerade diese Supervisionmöglichkeiten fehlen in der außerschulischen Kunst- und Kulturpädagogik, vor allem bei privaten Trägern, häufig. Wenn die Möglichkeit einer Supervision nicht besteht, ist zumindest eine "Intervision", d.h. regelmäßige Zusammenkünfte und Reflexionen "prinzipiell gleichrangiger" Kollegen anzustreben (FENGLER 1986, S. 60). Es ist im Sinne der didaktischen Überlegungen Klafkis für Leiter kunst- und kulturpädagogischer Veranstaltungen unumgänglich, sich Verhalten und Handlungen der Beteiligen an ihren Veranstaltungen und ihr eigenes Verhalten "bewußt zu machen, was sie eigentlich tun, worüber und unter welchen historischen Bedingungen sie entscheiden und handeln, was eigentlich in ihren und hinter ihren Entscheidungen, Überlegungen, Handlungen steckt" (KLAFKI 1985, S. 48).
 
So schwer es Leitern auch fallen mag, ist es ratsam, vor den Teilnehmern, wenn die Thematik im Kurs aktuell wird, anzusprechen, daß der Kurs in Form einer Dienstleistung vom Leiter angeboten wird und von den Teilnehmern bezahlt wird. Weiterhin sollte dann in der Kursgruppe über die Folgen dessen auf die Kursinhalte und das Verhalten der Beteiligten gesprochen werden. Ein solches offenes Ansprechen der finanziellen Interessen der Leiter ist unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen der Kurs stattfindet, und der hierdurch geprägten Erwartungen der Teilnehmer besonders schwierig, da es meiner Erfahrung nach gerade am Anfang eines Kurses kurzfristig eher mehr Probleme und Konflikte schaffen als lösen könnte. Probleme können dadurch entstehen, daß – wie oben dargestellt – ein starkes Bedürfnis vorhanden ist, die Marktbeziehung zu verdrängen. Außerdem erwarten Teilnehmer in Kunstkursen keine langen Diskussionen zur Gruppensituation oder zu den Rahmenbedingungen des Kurses, sondern haben meist die Erwartung und starke Bedürfnis, bildnerisch tätig zu sein. Eine direkte und offene Ansprache kann vor allem neue Teilnehmer sehr irritieren. Durch eine Klarstellung der zugrundeliegenden Marktbeziehungen wird jedoch langfristig die Basis für weniger auf Selbsttäuschungen beruhende pädagogische Beziehungen gelegt.

Literatur

Berger, Renate: Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert, Kunstgeschichte als Sozialgeschichte. Köln 2 1986
Edding, Cornelia: "Verkaufte Gefühle – Balanceakte in der Trainerrolle". In: Gruppendynamik, Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie. Heft 3, 1988, S. 339 – 349
Fengler, Jörg: "Supervision, Intervision und Selbsthilfe". In: Gruppendynamik, Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie. Heft 1, März 1986, S. 59 – 64
Giesecke, Hermann: Pädagogik als Beruf, Grundformen pädagogischen Handelns. Weinheim 1987
Kemp, Wolfgang: "… einen wahrhaft bildenden Zeichenunterricht überall einzuführen", Zeichnen und Zeichenunterricht der Laien 1500 – 1870, Ein Handbuch. Frankfurt a.M. 1979
Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. Weinheim 1985


Bibliografische Angaben zu diesem Text:

Peez, Georg: Kulturpädagogik als Dienstleistung, Von den Schwierigkeiten mit kommerziellen Aspekten in kulturpädagogischen Beziehungen. In: BDK-Mitteilungen, Fachzeitschrift des Bundes Deutscher Kunsterzieher e.V., Heft 1, Februar 1992, S. 36 – 37