Eine phänomenologische Fallstudie zu den frühesten Zeichnungen eines 13 Monate alten Kindes
Georg Peez
Zur Bedeutung von Beispielen
Innerhalb der phänomenologischen Pädagogik bilden die Dokumentation exemplarischer Situationen und das anschließende Beispielverstehen schon immer eine zentrale Säule des erziehungswissenschaftlichen Forschungsverständnisses (u. a. Rumpf 1961, 1991a; Lippitz 2 1987, S. 125). Phänomenologen wenden häufig Erhebungsverfahren der Feldforschung an. Insbesondere werden Feldtagebücher geführt (z. B. Freudenthal 1983; Beekman 2 1987; Rumpf 1991b, S. 328). Denn durch sie wird deutlich, dass die subjektive Sicht auf die Phänomene erst den Zugang zu ihnen bildet. Die beobachtend teilhabende und daraufhin beschreibende Person nimmt ihre Erfahrungen und Erlebnisse zum Anlass, um von ihnen her wesentliche Merkmale des fokussierten Phänomens zu erhellen. Phänomenologisch forschen wir, wenn wir auf das Phänomen als einen Niederschlag unserer eigenen Sinnes- und Bewusstseinsleistungen aufmerksam werden. Wird nicht-schriftsprachliches Material erhoben, etwa Fotografien, so sollte auch hier der subjektive Betrachterstandpunkt beachtet werden.
Wenn Lesende einer phänomenologischen Fallstudie die Exemplarik der geschilderten Situation und dessen Interpretation anhand ihrer eigenen Lebenserfahrungen nachvollziehen können, wenn das Beispiel und dessen Deutung überzeugen, so ist das wichtigste Gütekriterium phänomenologischer Analysen innerhalb qualitativer Empirie erreicht. Der Leser muss „die Plausibilitäten des Beispiels an sich selbst verifizieren können, indem er das Beispiel nachvollzieht. Beispiele verweisen ihn folglich auf etwas, mit dem er vertraut ist, (…) was er aber bis jetzt übersehen hat (…).“ (Lippitz 2 1987, S. 125; vgl. Seiffert 9 1991, S. 48).
Schritte der phänomenologischen Analyse
Aus dem Gesagten lassen sich auf einen Forschungsprozess bezogen einzelne Schritte der phänomenologischen Methode ableiten (Lippitz 2 1987, S. 109ff.; Mayring 3 1996, S. 86ff.).
1. Fokussierung des zu untersuchenden Phänomens durch eine oder mehrere Forschungsfragen.
2. Exemplarische Deskription: Materialsammlung von Beispielen, die eine Klärung des Phänomens versprechen.
3. Erster Materialdurchgang, um „den generellen Sinn des Ganzen“ (Mayring 3 1996, S. 87) zu erfassen.
4. Auswahl und evtl. Neu-Zuordnung einzelner Materialstellen (Beispiele) in Bezug auf die Forschungsfrage/n.
5. Hermeneutisch orientierte Interpretation der einzelnen Beispiele (Rumpf 1991b, S. 327f.; Rittelmeyer/ Parmentier 2 2006).
6. Synthetisierende Interpretation der Beispiele durch eidetische Reduktion bzw. Variation, um zum Wesenskern des Phänomens vorzustoßen, um „Eigenschaften und Merkmale herauszufinden, die allen Elementen dieser Klasse von Gegenständen gemeinsam sind“ (Preglau 2001, S. 398).
7. Zusammenfassende Formulierung der Forschungsergebnisse.
An einer Stelle der Untersuchung vor Schritt 6 sollten sich Interpretierende auch über die subjektive Konstitution der Phänomene im Bewusstsein der materialerhebenden sowie interpretierenden Person (Vorverständnisse, Vorurteile, Erwartungen) gewahr werden. Ziel der phänomenologischen Analyse ist es demnach nicht, „Wahrheiten“ zu finden, sondern intersubjektiv überzeugende Auslegungen von kommunikativ strukturierten Erfahrungen zu erreichen, die durchaus auch mehrdeutig sein können.
1. Forschungsbedarf und Forschungsfragen
In der Literatur zur Kinderzeichnung kommt der so genannten Kritzelphase eine große Bedeutung zu, da in ihr die ersten Zeichnungen entstehen: Ganz aus der Motorik des Kleinkindes heraus hinterlässt der Stift auf dem Papier eine Spur, an der sich die Hand- und Armbewegungen nachvollziehen lassen. Hans-Günther Richter referiert die Entwicklung der Kritzelereignisse nach Hans Meyers, indem zuerst der „Hiebkritzel“ um die Wende zum zweiten Lebensjahr auftritt (1 Jahr; 0 Monate bis 1;3). Der „Hiebkritzel“ ist „das Resultat einer Bewegung des ganzen Arms, dessen Ausführung zu einem punktförmigen Hieb mit auslaufendem Ruck führt“ (Richter 1997, S. 26). Hierauf folgen der „Schwingkritzel“ (1;3 – 1;8), der „Kreiskritzel“ (1;9 – 1;11) bis zu „verschieden geformten Kritzeln“ (ab 2;0) (ebd., S. 26) (Abb. 1).
Bettina Egger setzt den Zeitraum des Kritzelns hingegen wesentlich später an, sie schreibt: „Die ersten Bilder, die das Kind macht – ungefähr im Alter von zwei Jahren -, sind Zeichen und Ausdruck für jene Zeit, in der es ganz Körper ist.“ (Egger 1984, S. 8) Egger vermeidet bewusst eine Chronologie der „vorfigurativen Bilder“ (ebd., S. 9), aber bezeichnet das „Kritzelknäuel“ als meist „erste Urform“ (ebd., S. 12). Ihre Abbildung hierzu zeigt sowohl Hiebkritzel als auch Schwingkritzel (Abb. 2). Dem Hiebkritzel verwandte Ausdruckformen nennt sie „Pulspunkte“ (ebd., S. 24), da der Körper seinen inneren Rhythmus entdecke.
Das Thema der monografisch ersten Zeichnung im Leben eines Kindes wird in der Fachliteratur meist ausgespart. Ich konnte lediglich eine „erste Zeichnung“ finden (Schütz 1992, S. 46). Durch den aufgezeigten Forschungsbedarf ergab sich für mich vor der Erhebung des Forschungsmaterials folgende Frage: Was passiert, wenn ein ein Kleinkind zum allerersten Mal zeichnet? Nicht nur das Ergebnis sollte zur Beantwortung dieser Frage festgehalten werden, sondern im Gegensatz zur bisherigen Kinderzeichnungsforschung auch der Entstehungsprozess.
Abb. 1 | Abb. 2 |
2. Exemplarische Deskription
Im Anschluss an die Formulierung der Forschungsfrage erfolgt die Sammlung von angemessenen Beispielen. Im hier geschilderten Fall musste ein Kleinkind gefunden werden, das zum einen bisher noch nicht gezeichnet hatte und das zum anderen schon alt genug war, um Zeichenmaterial in der Hand halten zu können. Für die vorliegende Untersuchung wurden Einzelfotografien mittels einer Digitalkamera angefertigt. (Zur medialen Spezifik von digitalen Fotografien vor allem auch unter phänomenologischen Gesichtspunkten vgl. Peez 2006, S. 105ff.) Primär war hierfür die Spontaneität der Situation verantwortlich, die nicht den Aufbau einer Videokamera ermöglichte. Ein solches Setting genügt den Anforderungen an eine phänomenologisch orientierte Analyse als einer „prägnanten Situation in der Lebenswelt“ (Beekman 2 1987, S. 21) des etwas über 13 Monate alten Jungen namens Luca, der bis dahin noch nie mit einem Stift zeichnete, wie die Mutter glaubhaft versicherte. Das Analysematerial sind 21 Einzelfotografien, die in unterschiedlichen Zeitabständen – meist im Rhythmus zwischen ca. 10 bis 20 Sekunden – im Zeitraum von ca. 4 Minuten erstellt wurden.
3. Erster Materialdurchgang
Die eingangs genannten Kriterien an angemessenes Material für eine phänomenologische Fallstudie sind erfüllt. Der Junge ist konzentriert mit der Erkundung des Zeichenmaterials beschäftigt und nicht von der Kamera abgelenkt. Luca hinterlässt deutliche Spuren, die Kennzeichen der ersten Kritzel aufweisen, wie sie in der zur Formulierung der Forschungsfrage benutzten Fachliteratur aufgezeigt werden. Durch die Kameraeinstellung in Nahaufnahme macht die Situation zusätzlich einen sehr „dichten“ Eindruck. Der Blick des Fotografen liegt deutlich auf dem Kritzelgeschehen, seine Kamera hält er bei allen Bildern weit oberhalb von Lucas Kopf, er steht neben dem Tisch, an dem Luca sitzt. Bei diesen Überlegungen kann bereits die subjektive Konstitution des Fotografen berücksichtigt werden: Seine Erwartungen richten sich eindeutig auf das Kritzelgeschehen – die Hälfe des Fotos nimmt jeweils das fast leere Blatt Papier ein – , nicht etwa auf die Mimik des Kindes. Dadurch, dass die neben dem Tisch stehende Mutter nicht mit fotografiert ist, verbergen die meisten Aufnahmen allerdings die die Situation prägende zustimmende Nähe zwischen Mutter und Kind.
4. Auswahl einzelner Materialstellen bzw. Beispiele
Nach seinem ersten Versuch führte Luca noch weitere Kritzelereignisse auf neuen Papierbögen aus, die aber an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden, da es sich nicht um seine allererste Zeichnung handelt. Ferner werden aus Gründen des Textumfangs in diesem Beitrag nicht alle Fotos der Serie, sondern lediglich sechs intensiver analysiert.
5. Interpretation einzelner Fotos
Der implizit erste Schritt zur interpretativen Annäherung an eine Fotografie ist die Übertragung der Simultanität eines Fotos in die beschreibende Sequenzialität eines schriftsprachlichen Textes (Peez 2006, S. 17ff.).
Abb. 3 | Abb. 3a |
Das erste Foto (Abb. 3): Der etwas über 13 Monate alte Luca sitzt auf seinem Hochstuhl am Tisch im Wohnzimmer. Den Kopf leicht geneigt und nach rechts gedreht sitzt er aufrecht und hat seinen Blick auf seine rechte Hand gerichtet, die im Faustgriff einen Filzstift mit weißem Schaft und blauer Spitze hält. Lucas linke Hand liegt, die Finger ebenfalls faustförmig, nahe der Tischkante auf der Tischfläche. Betrachtet man Lucas auf diesem Foto bereits dokumentierten, ersten zarten Kritzel im Detail (Abb. 3a), so sind auf dem weißen Blatt zwei kurze, blaue Linien, die jeweils von einem Punkt begleitet sind, und ein Punkt alleine zu erkennen. Auf den dunklen Grund hat er eine weitere geschwungene Linie gesetzt. Diese Spuren machen Lucas Bewegungsabfolge deutlich: Er hebt seinen rechten Arm mit dem Stift in der Hand leicht über dem Tisch an und stößt der Schwerkraft folgend mit der Spitze des Stifts auf das Papier. Viermal führte Luca bereits diese Bewegung aus, bevor der Auslöser der Kamera für das erste Foto betätigt wurde. Drei Punkte sind entstanden, die Luca anschaut. Die zwei kurzen Striche ergaben sich dadurch, dass Luca den Stift nicht gleich vom Blatt nahm, sondern den Stift zu seinem Körper hin zog, während die farbige Spitze noch kurze Zeit das Blatt berührte. Jeder Aufprall des Stifts erzeugt einen spürbaren und leicht hörbaren Widerstand auf der Tischplatte und hierdurch einen Punkt.
Abb. 4 |
Das zweite Foto (Abb. 4): Der Junge hat den Stift von der rechten in die linke Hand gewechselt. Er fokussiert mit seinem Blick – nun seinen Kopf nach links gewandt – die Spitze des Filzstifts, den er mit der Linken im Faustgriff hält. Bis zur Schulter ist der Arm in Bewegung, und Luca stößt fünf etwas kräftigere Punkte auf das Papier. Während Luca diese Punkte setzt, betrachtet er die Stiftspitze, seine Arm- und Handbewegungen sowie die Punkte, die diese Bewegungen hinterlassen. Diese Kritzelspuren können als intentional gelten. Das Kind sieht zunächst, dass das eigene Tun eine Spur in Form der Punkte und kurzen Linien hervorbringt. Zielgerichtet wiederholt es daraufhin die gleiche Bewegungsabfolge des Aufschlagens des Stifts auf das Papier mit der anderen Hand und beobachtet hierbei, dass seine Bewegung abermals eine zarte, aber durchaus sichtbare Veränderung auf der Tischfläche verursacht. Fühlen und Bewegen werden – wohl zunächst nur als erste intuitive Ahnung – zusammen als spurgebend und spurverändernd erfahren.
Abb. 5 |
Das dritte Foto (Abb. 5): Inzwischen hat Luca einen anderen Filzstift gegriffen, der links neben ihm auf dem Tisch lag, diesmal einen grünen. Nochmals hat er die aktive Hand gewechselt: Nun hält er den Stift wieder in seiner Rechten. Doch nun zeichnet er nicht auf die rechte Papierhälfte, sondern er dreht seinen Oberkörper im Hochstuhl nach links, um an der zuletzt bezeichneten Stelle, den grünen Stift auszuprobieren. Hierbei fällt auf, dass die Hand „schwerer“ ist, Luca hebt sie nicht oder kaum vom Blatt, er stößt mit dem Stift nicht auf das Papier ein, sondern zeichnet deutlich eine lang gezogene Linie mit einer Änderung der Bewegungsrichtung fast im 90-Grad-Winkel. Eine zweite kürzere, grüne Linie entsteht in dem Moment, in dem der Fotograf auf den Auslöser drückt. Nach dem anfänglichen Aufklopfen der Punkte folgt hier eine weitere spurgebende Tätigkeit: das Ziehen einer Linie.
Abb. 6 |
Das vierte Foto (Abb. 6): Luca hat den grünen Stift umgedreht, so dass er mit dem oberen, flachen Abschluss des Stifts auf das Blatt einklopft. Hierbei lächelt er etwas. Wir werden offenbar Zeuge eines wichtigen Experiments: Welche Seite des Stifts hinterlässt Spuren aufgrund meiner Bewegungen und welche nicht? Das Lächeln mag Indiz für die Einsicht sein, dass nur ein Ende des Stifts aufgrund der jeweils gut hörbaren Klopfbewegung sichtbare Spuren ergibt. Luca betrachtet hierbei die Stelle zwischen Tisch und Stift intensiv. In diesem Ausprobieren und Innehalten, Beobachten und Nachdenken versucht Luca offenbar zu verstehen, was gerade passierte, wie dies mit ihm selbst, seinen Bewegungen und den Stiften zusammenhängt. Gehen wir davon aus, dass er in diesem Moment diesen Zusammenhang verstanden hat, so müsste er als nächstes nochmals die gleiche oder eine ähnliche Bewegung mit einer farbgebenden Filzstiftspitze ausführen, um zu überprüfen, dass die Ursache auch die gedachte Wirkung erzielt. Hätte Luca diesen Zusammenhang verstanden, so hätte er erfahren, dass er bewusst eine zeichnerische Spur setzen kann. [Aus Gründen des Textumfangs wird die Analyse ab hier stark abgekürzt.]
Abb. 7 | Abb. 8 |
Das fünfte Foto (Abb. 7): Luca hat wieder den ersten Filzstift gegriffen, der das Merkmal besitzt an beiden Enden eine Farbspitze zu haben. Hiermit führt er erneut Klopfbewegungen aus und betrachtet hoch konzentriert, was der Stift in seiner Hand auf dem Papier hinterlässt: Punkte an der Blattkante und teilweise kurze Striche, die sich an die Punkte anschließen. Deutlich wird somit: Er hat verstanden.
Auf dem sechsten Foto (Abb. 8) hat Luca den Filzstift zum Mund geführt, den Stift immer noch im Faustgriff haltend. Er möchte sein Verstehen vertiefen. Er betastet vorsichtig und konzentriert mit seiner rechten Unterlippe und seiner Zunge die Farbspitze des blauen Stifts. Hierbei ist nicht nur das Schmecken bedeutsam, sondern vor allem das Fühlen. Die Lippen enthalten viele Nervenenden und auch die Zunge ist sehr sensibel und kann feinste Unebenheiten ertasten. Zudem ist Luca in einem Alter, in dem fast alles in den Mund genommen, geschmeckt und oral ertastet wird. Diese Erkundungsform ist für ihn unmittelbar und alltäglich.
6. Synthetische Interpretation und Zusammenfassung der Gesamtaussage
Die bleibende, mittels eines Filzstifts erzeugte Spur einer Handbewegung entsteht bei dem etwas über 13 Monate alten Kind zunächst beiläufig. Daraufhin wird die Verbindung zwischen der Ursache (eigene Bewegung) und dem Ergebnis (Kritzelspur) als Erkenntnis probeweise kognitiv erfasst. In einem zweiten Schritt wird diese vorläufige Erkenntnis willentlich experimentell überprüft, indem nochmals die gleiche Bewegung mit der anderen Hand nur an einer anderen Stelle des Papiers ausgeführt wird, um zu sehen, ob diese Bewegung wieder Spuren hinterlässt. In einem dritten Schritt wird aufgrund dieser Erkenntnis bewusst ein zweiter Stift ausprobiert und eine weitere Kritzelspur gesetzt. Dass dies bewusst geschieht, ist erkennbar an den Wiederholungen der Tätigkeit und an den Reflexionspausen, in denen die Stiftspitze zunächst betrachtet und dann auch betastet wird.
Das Bewegen und das Fühlen bzw. Tasten bilden eine Einheit: Erst durch die Bewegung seines Armes beim Klopfen mit dem Filzstift spürt Luca in Form der Tischfläche einen Widerstand. Das Betasten der von Luca als entscheidend, weil spurgebend erfahrenen Filzstiftspitze mit der Lippe und der Zunge macht auf eindrückliche Weise deutlich, dass der kognitive Vorgang des Verstehens unmittelbar mit dem sensuellen Erleben einhergeht. Verstehen geschieht über die Sinne. Insofern ist es gut nachzuvollziehen, dass diese Phase der Kindheit in der Kognitions- und Entwicklungspsychologie „sensomotorisch“ genannt wird.
Sehr deutlich ist die erste Kritzelbewegung, das Klopfen bzw. Aufschlagen (Hiebkritzel oder geschlagener Punkt) zu erkennen. Weniger deutlich lassen sich vorsichtig gezeichnete geschwungenen Linien rekonstruieren (evtl. Schwingkritzel oder verschieden geformte Kritzel). Dieses Resultat entspricht weitgehend den eingangs zitierten Ergebnissen der bisherigen Kinderzeichnungsforschung und meinen bisherigen Untersuchungen erster Schmier- und Kritzelereignisse (Peez 2006, S. 69ff.; Peez 2007).
Matthias Duderstadt schreibt: „Kein anderer Sinn bringt uns derart direkt mit den Dingen der Außenwelt zusammen wie der Tastsinn. Ich berühre die Dinge und sie mich – auf diese Formel ließe es sich bringen.“ (Duderstadt 1997, S. 61) Auch dieser Aspekt ist anhand der interpretierten Fotosequenz nachzuvollziehen: Das Kleinkind ist involviert in sein Tun und es ist berührt von der Unmittelbarkeit zwischen Materialität, eigener Bewegung und der Erkenntnis des Spur-Hinterlassens. Verallgemeinernd kann die bildnerische Praxis des Kritzelns als „anthropologische Konstante“ angesehen werden. Denn der Beginn der menschlichen Frühformen des Zeichnens liegt im Zusammentreffen einer Bewegungsdynamik mit einer Oberfläche und Materialien, die diese Dynamik festhalten.
Literatur
Beekman, Ton: Hand in Hand mit Sascha. In: Lippitz, Wilfried/ Meyer-Drawe, Käte (Hg.): Kind und Welt. Frankfurt a. M. 2 1987, S. 11-26
Duderstadt, Matthias: Ästhetik und Stofflichkeit. Weinheim 1996
Egger, Bettina: Bilder verstehen. Bern 1984
Freudenthal, Hans: Wie entwickelt sich reflexives Denken? In: Neue Sammlung, 5, 1983, S. 485-497
Lippitz, Wilfried: Phänomenologie als Methode? In: Lippitz, Wilfried/ Meyer-Drawe, Käte (Hg.): Kind und Welt. Frankfurt a. M. 2 1987, S. 101-130
Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim 3 1996
Peez, Georg: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. München 2006
Peez, Georg: Laras erste Kritzel. In: Peez, Georg (Hg.): Fallforschung in der Kunstpädagogik. Baltmannsweiler 2007
Preglau, Max: Phänomenologische Ansätze. In: Hug, Theo (Hg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Bd. 4. Baltmannsweiler 2001, S. 395-409
Richter, Hans-Günther: Die Kinderzeichnung. Düsseldorf 1987
Rittelmeyer, Christian/ Parmentier, Michael: Einführung in die pädagogische Hermeneutik. Darmstadt 2 2006
Rumpf, Horst: Das Schauen als Weg zur Wirklichkeit. In: Neue Sammlung, 2, 1961, S. 120-130
Rumpf, Horst: Über die notorische Ernsthaftigkeit des pädagogischen Wissens. In: Oelkers, Jürgen/ Tenorth, H.-Elmar (Hg.): Pädagogisches Wissen. Weinheim 1991a, S. 377-389
Rumpf, Horst: Die Fruchtbarkeit der phänomenologischen Aufmerksamkeit für Erziehungsforschung und Erziehungspraxis. In: Herzog, Max/ Graumann, Carl F. (Hg.): Sinn und Erfahrung. Heidelberg 1991b, S. 313-335
Schütz, Helmut G.: Kritzeln. In: Kunst+Unterricht, Heft 163, 1992, S. 46-49
Seiffert, Helmut: Einführung in die Wissenschaftstheorie. 2. Bd. München 9 1991