Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagementaspekte in der kulturellen Bildung

Eine kritische Betrachtung gegenwärtiger Kontrollmechanismen und Managementkonzepte für kunst- und kulturpädagogische Einrichtungen. Außerschulische Kunstpädagogik zwischen Autonomie und Systemzwängen

Georg Peez

Gliederung

1. Einführung in die Thematik. Begründung und Eingrenzung des Forschungsschwerpunkts

2. Organisationsentwicklung und Organisationslernen. Klärungsversuche

3. Kunst- und kulturpädagogische Institutionen im Spannungsfeld zwischen Organisationsentwicklungsprozessen und kunstpädagogischem Selbstverständnis

4. Didaktische Entscheidungskompetenzen und Handlungsfelder in kunst- bzw. kulturpädagogischen Institutionen

5. Zertifizierung und Qualitätsaspekte in der außerschulischen Kunstpädagogik

6. Kritisches Fazit – Fünf Problembereiche von Organisationsentwicklung in der außerschulischen Kunstpädagogik im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Systemzwängen

Anmerkungen

Literatur


1. Einführung in die Thematik. Begründung und Eingrenzung des Forschungsschwerpunkts

In vielen gesellschaftlichen Bereichen befinden wir uns gegenwärtig in einer Phase grundlegender, teils rasanter Umstrukturierungen, deren Auswirkungen beispielsweise in Betrieben und gesellschaftlichen Institutionen tagtäglich zu spüren sind. Einige Stichworte, die in Zuge solcher Umstrukturierungen häufig genannt werden, sind: Lean Management, Evaluation, Modularisierung, Zertifizierung, Qualitätsmanagement, Qualitätszirkel, freiwillige Erfolgskontrolle, Effektivität, Profilbildung, Erfolgsprämien, Credit-Points, Sponsoring oder Kunden- und Marktorientierung. Bisher angewandte und eingespielte Konzepte der Organisation eines Wirtschaftsbetriebes oder einer gesellschaftlichen Institution werden mehr oder weniger stark modifiziert bzw. oft ganz verworfen. Herkömmliche Kommunikationsabläufe und Entscheidungswege werden in Frage gestellt. Neue Organisations- und Managementsysteme, die solche Abläufe regeln sollen, werden eingeführt. Wohin solche Umstrukturierungen in den einzelnen Institutionen führen, ist meist völlig offen. Sicher ist nur, dass sich hierdurch viele gesellschaftliche Institutionen bereits tiefgreifend verändert haben bzw. zukünftig verändern werden und mit ihnen die professionsbezogenen und zwischenmenschlichen Beziehungen der in ihnen handelnden Personen.

Diese Umstrukturierungen machen auch vor öffentlichen oder privaten Bildungseinrichtungen nicht halt. Der Bereich der kulturellen Bildung ist hiervon ebenso betroffen; er umfasst ein sehr heterogenes institutionelles Feld, wie u. a. die Fachbereiche ‚Kunst und Gestaltung‘ an Volkshochschulen, Angebote kultureller Bildung von konfessionellen oder gewerkschaftlichen Trägern, Bildungseinrichtungen in Museen, Bundesakademien für musisch-kulturelle Bildung, soziokulturelle Zentren, private Kunstschulen und Jugendkunstschulen. Die oben umrissenen Umstrukturierungen werden hier meist unter den Worten ‚Organisationsentwicklung‘ oder ‚Organisationslernen‘ zusammengefasst, weshalb diese Begriffe und die hierhinter stehenden, im Folgenden näher zu erläuternden systemischen Modelle in meinen Ausführungen im Mittelpunkt stehen werden. (1)

Mit Blick auf das kunstpädagogische Praxisfeld der kulturellen Bildung (2) soll der systemische Ansatz zur Organisationsentwicklung hier nicht vertreten oder gegenüber anderen Ansätzen gerechtfertigt werden, sondern weil sich Konzepte zur Organisationsentwicklung häufig auf ihn beziehen, soll er einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Es sollen – so lautet der Forschungsschwerpunkt der folgenden Ausführungen – punktuell Antwortansätze erarbeitet werden, ob er für die Thematik der Organisationsentwicklung in Bezug auf die außerschulische Kunstpädagogik im Bereich der kulturellen Bildung modelltheoretisch überhaupt tragfähig sein kann. (3)

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2. Organisationsentwicklung und Organisationslernen. Klärungsversuche

Die Literatur zum Thema ‚Organisationsentwicklung‘ wird von Beiträgen aus dem Bereich der Wirtschaft geprägt: Unternehmensberater, Managementconsulter, Organisationssoziologen und Betriebswirte machen sich – zunächst ganz allgemein gesagt – darüber Gedanken, wie einzelne Elemente innerhalb einer gesellschaftlichen Organisation aufeinander wirken, welche Veränderungen sie durch ihre Beziehungen zueinander hervorrufen und an welche Veränderungsprozesse sie sich wiederum anpassen (Brüning 1997, S. 41). (4) Ziele solcher Überlegungen sind die Effizienzsteigerung innerhalb von Organisationen (5), die Verminderung von Fehlerquoten, die Vermeidung von Kommunikationsstörungen oder – unter ökonomischen Gesichtspunkten – die markt- und absatzbezogene Qualitätsveränderung und -verbesserung der Produkte bzw. Dienstleistungen einer Organisation.

Umstritten ist, ob Organisationen als gesellschaftliche Konstrukte bzw. Systeme lernfähig sind, dennoch wird häufig von „lernenden Organisationen“ (DIE 1997) oder auch von „Organisationslernen“ (Geißler 1995a, 1995b) gesprochen. Durch dieses Wort soll in der Diskussion häufig deutlich gemacht werden, dass sich Organisationen nicht einfach ziellos entwickeln, sondern, dass diese Entwicklungsprozesse intentional beeinflussbar sind, und zwar durch Lernprozesse bzw. durch dem Lernen vergleichbare Prozesse. „Organisationslernen“ impliziert also das „Lernen der in einer Organisation Tätigen für die Ziele der Organisation.“ (Brüning 1997, S. 41) (6)

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3. Kunst- und kulturpädagogische Institutionen im Spannungsfeld zwischen Organisationsentwicklungsprozessen und kunstpädagogischem Selbstverständnis

Kunst- und kulturpädagogische Organisationen können also ganz konkret Organisationsentwicklungsprozessen ausgesetzt sein, und sie sind dies auch häufig. Solche Prozesse richten sich auf die Frage: Wie unterstützen und optimieren beispielsweise Leiterinnen und Leiter von Kursen in der kulturellen Bildung sowie Mitarbeitende mit planend disponierenden Tätigkeiten in Institutionen der außerschulischen Kunstpädagogik Lern- und Bildungsprozesse durch die entsprechende Gestaltung des organisatorischen Umfelds? Solche Fragen wurden im Fach bisher nicht in Bezug auf Organisationsentwicklungsmodelle reflektiert.

Diese didaktisch orientierte Blickrichtung, die ich im Weiteren einhalten werde, kann zwar als eine Reformulierung mittels technologisch-modischer Terminologien historisch schon lange vorhandener Aspekte angesehen werden (Bammé 1999, S. 6), (7) aber innerhalb der kulturellen Bildung wirft sie unter den gegenwärtig sich rapide verändernden komplexen gesellschaftlichen und marktwirtschaftlichen Bedingungen mehr als nur rhetorische Fragestellungen auf. Vor allem aber muss sich die Kunstpädagogik mit der ‚neuen‘ Terminologie und dem ‚neuen‘ Denken auseinander setzen, um in den Diskursen, in denen teilweise über grundsätzliche Legitimationen und finanzielle Zuwendungen entschieden wird, überhaupt ihre fachspezifischen Einstellungen hierzu argumentativ entwickeln, einbringen und vertreten zu können.

Die Diskussionen um ökonomisches und betriebswirtschaftliches Handeln dominieren derzeit die Debatten um Zielveränderungen in der Erwachsenenbildung und der kulturellen Bildung. Inhaltliche, pädagogische oder bildungspolitische Ziele stehen häufig im Hintergrund. Die Marktbedingungen erfordern von den Einrichtungen eine hohe externe Konkurrenzfähigkeit. Die rechtlichen, wirtschaftlichen und organisatorischen Arbeitsbedingungen verändern sich in erheblichem Maße (Meisel 1997, S. 29). In der Folge muss sich oft auch eine gewachsene Berufslegitimation der Beschäftigten innerhalb von Organisationslernprozessen ändern. Einige dieser externen „Umbruch-Symptome“ (Decker 1997, S. 25) lauten knapp umrissen:

• Finanzielle Restriktionen und Probleme machen sich bemerkbar: Die Bezuschussung aus öffentlichen Kassen wird immer geringer. Die Teilnahmegebühren steigen. Die Teilnehmendenzahlen sind in vielen Erwachsenenbildungsinstitutionen tendenziell rückläufig, beispielsweise von 1997 zu 1998 im Bereich ‚Kultur – Gestalten‘ der Volkshochschulen im Bundesdurchschnitt um 4,8 Prozent (Pehl/ Reitz 1999, S. 9).

• Private Sponsoren knüpfen ihre Unterstützung explizit oder implizit an inhaltliche Zugeständnisse von Seiten der Institution. Beispielsweise fördern Automobilhersteller bzw. deren Vertriebsorganisationen, wie Mercedes oder Mitsubishi, Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit zum Thema ‚Zukunft‘, in denen Themen wie Klimaveränderung und Teibhauseffekt durch den steigenden Schadstoffausstoß ausgeklammert bleiben (Sauermann 1999, S. 34).

• Die neuen Medien drängen auf den Bildungsmarkt und versprechen flexiblere und effektivere interaktive Lernformen. Zugleich sorgen sie durch die mit ihnen verbundene Beschleunigung der technischen Innovationszyklen für eine Dynamisierung der technikbasierten Informations- und Kommunikationsvorgänge. Die hiermit einhergehende Ungleichzeitigkeit technischer Entwicklung und sozialer Kompetenzentwicklung wird zu einem zentralen gesellschaftlichen und kulturellen Problem.

• Das Klientel der Erwachsenenbildungseinrichtungen ist in Bezug auf die Vermittlungsinhalte und die didaktische Aufbereitung der Inhalte kritischer geworden (Groppe/ von Gehren 1997; Stang 2000).

• Vor allem jüngere Teilnehmende entscheiden sich für bestimmte Bildungsangebote sporadisch und spontan; es gibt weniger langjährige „treue“ Teilnehmende (Groppe/ von Gehren 1997).

• Ein erstarkender Anteil von privatwirtschaftlich organisierten Bildungsinstitutionen hat sich neben den öffentlich getragenen Bildungsinstituten auch im Bereich des Kulturellen auf dem Bildungsmarkt etabliert.

Die Thematik der Organisationsentwicklung stellt Organisationen der kulturellen Bildung oft zwangsläufig vor Herausforderungen, die wechselseitig mit externen und internen Veränderungen verknüpft sind. Denn um auf dem Bildungsmarkt konkurrenzfähig und bezogen auf die wirtschaftlichen Veränderungen flexibel sein zu können, sind antizipierende, zielgerichtete Veränderungsstrategien in Organisationen oft notwendig (Brüning 1997, S. 41). Die organisationalen Identitäten etablierter Institutionen in Bereich der Kulturpädagogik werden hierbei kritisch in Frage gestellt, sie müssen sich für neue Identitäts- und Profilentwicklungen öffnen. Und neu zu gründende Institutionen und Initiativen versuchen, auf Organisationslernprozesse aufbauend eine eigene Identität selbstgesteuert zu entwickeln. Im Vordergrund der Debatte sollte aus kunstpädagogischer Sicht hierbei allerdings jeweils stehen, dass die externen, oben aufgeführten, meist durch marktwirtschaftliche Einflüsse ausgelösen Veränderungen nicht die fachspezifischen Kriterien und Feldmerkmale verdrängen.

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4. Didaktische Entscheidungskompetenzen und Handlungsfelder in kunst- bzw. kulturpädagogischen Institutionen

Planende und disponierende Aufgaben in einer kunst- bzw. kulturpädagogischen Institution sind unter den skizzierten gegenwärtigen Bedingungen oft nur zweitrangig feldbezogen didaktisch reflektiert; sie orientieren sich häufig an managementspezifischen Entscheidungskriterien, die sich wiederum nach ökonomischen, administrativen oder finanziellen Kategorien ausrichten. Für planende Tätigkeitsbereiche werden managementtheoretische Ansätze adapiert und aktuell unter dem Begriff des Bildungsmanagements als Lösungsversuche für Organisationsprobleme eingeführt (Bergeest 1995, S. 376f.; Stang 2000). Zu hinterfragen ist, ob auf der disponierend-planenden Ebene nicht auch verstärkt Kriterien der Kunstpädagogik bzw. der ästhetischen Bildung ins Spiel kommen sollten, wie dies reflektiert möglich wäre und wie dies konkret aussehen könnte. In der wissenschaftlichen Kultur- und vor allem in der Kunstpädagogik werden allerdings didaktische Überlegungen zu disponierenden Tätigkeiten, wie z. B. Leitung, Planung und Organisation von Einrichtungen und Bildungsprogrammen, sehr stark vernachlässigt; sie werden kaum als didaktisch relevante Bereiche wahrgenommen und erfasst. Genau hierfür werde ich aber plädieren.

Es könnte eingewendet werden, dass für die Kunstpädagogik solche Fragestellungen nicht bedeutend seien, da sie sich hauptsächlich auf schulischen Unterricht beziehe. Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass zum einen kunstpädagogische Studien- und Ausbildungsgänge inzwischen wesentlich in Hinblick auf außerschulische Tätigkeitsfelder erweitert worden sind; eine Entwicklung, die sich allem Anschein nach weiter fortsetzen wird; wenn wir etwa die gegenwärtige Diskussion um die Neuordnung der Lehramtsstudiengänge verfolgen (Radtke 1999). Zum anderen ist das Fach Kunst in der Schule massiv von Stundenreduzierungen und -streichungen bedroht (Schmied 1999). Und auch innerhalb der kunstpädagogischen Theoriediskussion werden begründete Zweifel an der Weiterführung von ‚Kunst‘ als Schulfach geäußert (Ehmer 1995, 1996). Dies alles führt dazu, dass sich die wissenschaftliche Kunstpädagogik fachdidaktischen Fragen der Organisationsentwicklung in außerschulischen Bereichen zuwenden muss.

Um sich solchen zuvor umrissenen Aufgaben zu stellen, wird in diesem Zusammenhang zunächst allerdings exkursorisch das Verständnis von Didaktik und didaktisch geprägten Handlungsfeldern beleuchtet. (8) Die Differenzierung didaktischer Entscheidungs- und Handlungsfelder in Ziele, Inhalte, Beziehungen und Methoden (Heursen 1989, S. 308ff.) ist durch die unterschiedlichen pädagogischen Disziplinen und Theorieschulen hindurch weit gehend anerkannt. Dieter H. Jütting skizziert ergänzend – bezogen auf Erwachsenenbildung, aber übertragbar auch auf andere Pädagogikfelder – verschiedene Ebenen, auf denen didaktische Entscheidungen zu treffen sind. (9) Relevant für meine Ausführungen sind die folgenden drei Ebenen (Jütting nach Bergeest 1995, S. 377f.):

• Im mikrodidaktischen Handlungsfeld bündeln sich direkte Aufgaben der Durchführung von Unterricht bzw. Kursen in Bezug auf die unmittelbare personale Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Auf dieses zentrale Handlungsfeld beziehen sich fast ausschließlich alle fachdidaktischen Erörterungen, es steht nahezu synonym für ‚Didaktik‘; es ist aber nicht Thema meines Vortrags.

• Das megadidaktische Handlungsfeld beinhaltet Leitungsaufgaben didaktischer Konzeptionalisierung sowie der Ausstattung mit Personal und Finanzen innerhalb einer pädagogischen Institution bzw. innerhalb eines pädagogisch ausgerichteten Institutionenbereichs, etwa in einem Großunternehmen oder einer kommunalen Verwaltungseinheit.

• Das ‚zwischen‘ dem mikro- und dem megadidaktischen liegende makrodidaktische Handlungsfeld bezieht sich auf Aufgaben der Planung, Entwicklung und Organisation eines inhaltlich abgegrenzten Lehr- bzw. Bildungsangebots, auf die Festlegung von Veranstaltungsformen und die Auswahl der Kursleitenden. Dies sind typische Aufgabenbereiche hauptberuflich Tätiger in kultur- bzw. kunstpädagogischen Institutionen bzw. Institutionsbereichen, wie Fachbereichen an Volkshochschulen oder Jugendkunstschulen. Auf dieses makrodidaktische Handlungsfeld beziehe ich meine folgenden Ausführungen primär.

Da – wie oben bereits ausgeführt – Entscheidungen auf der Ebene der Koordination und Organisation oft unter betriebswirtschaftlichen oder finanziellen Zugzwängen stehen, widersprechen häufig Entscheidungen auf der disponierenden makrodidaktischen Ebene kunst- und kulturpädagogischen Intentionen auf der mikrodidaktischen Ebene.

Ein Beispiel: Im Stadtparlament einer Gemeinde wird entschieden, dass auf Initiative einer Vorlage aus dem örtlichen Kulturamt die Jugendkunstschule der Stadt in einen Eigenbrtrieb überführt werden soll. Nach einer Übergangszeit müssen von der Jugendkunstschule Gewinne erwirtschaftet werden. Auf der makrodidaktischen Ebene führt dies zur Streichung regelmäßiger kostenloser Angebote für gesellschaftlich benachteiligte jugendliche Zielgruppen. Nur noch sporadisch werden vereinzelt kurze zielgruppenbezogene Projekte von der Gemeinde bezuschusst und durch die Jugendkunstschule angeboten. Die früher für dieses Angebot auf Honorarbasis konstant Beschäftigten verlassen die Institution. Eine längerfristige Bindung der Jugendlichen an die Institution und eine personale Bindung zu bestimmten Pädagoginnen und Pädagogen besteht hierdurch kaum noch.

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Fachbezogenheit mega- und makrodidaktischer Kompetenzen oft eine Grundvoraussetzung für fachbezogene Professionalität einer solchen Institution ist. Im Gegensatz zu Theorien des Bildungsmanagements wird deshalb an dieser Stelle die fachdidaktische Aufgabe als zentraler Aspekt von Organisationsvorgängen hervorgehoben. Organisationsentwicklung und -gestaltung in der außerschulischen Kunstpädagogik wird damit direkt dem Begriff didaktischen Handelns zugeordnet.

Deshalb lautet meine zwischenresümierende Schlussfolgerung: Aufgaben in diesem makrodidaktischen Tätigkeitsbereich bestehen nicht nur in der Planung und dem Arrangement von Bildungsangeboten, sondern vor allem in einer adressatenspezifischen Passung möglicher Bildungsinhalte und Kurse auf der Basis eines in die Zukunft gerichteten und zugleich die Gegenwart analysierenden Denkens. Hierfür ist ein fachspezifisches Hintergrundwissen unabdingbar, das sich beispielsweise auf neue kulturelle Entwicklungen, Bedürfnisse, Motive, Interessen und Erwartungen verschiedener Zielgruppen oder auch auf die Aquirierung professionellen Lehrpersonals beziehen muss. Eine strukturelle Besonderheit der außerschulischen Kunstpädagogik ist hier – etwa im Gegensatz zur Schule – dass u. a. die Programmgestaltung, Profilbildung und Zielgruppenorientierung meist relativ autonom in der Institution erfolgt bzw. erfolgen muss. Die Komplexität des Feldes für Entscheidungen und Handlungen – oft gebündelt im Entscheidungsbereich einer oder weniger Personen ist hier kennzeichnend. „Eine fehlende Theorieorientierung oder eine Konzentration auf organisations- und managementtheoretische Ansätze würden im Praxisbereich allzu häufig zu einer Wiederholung des Bewährten führen“ (Bergeest 1995, S. 376f.), eine konzeptionelle Fortentwicklung könnte blockiert werden. Dies bedeutet, dass hauptberuflich in der außerschulischen Kunstpädagogik Tätige (1) gesellschaftliche Zusammenhänge, (2) inhaltsspezifische Strukturen sowie (3) Bedarfserkundungen unter didaktischen Gesichtspunkten in ein konkretes Bildungsangebot umsetzen müssen. Wie ein solches Angebotspaket geschnürt wird, sollte letztlich aus Sicht der Fachdidaktik sowohl von externen als auch von internen fachspezifischen Bedingungen abhängig und reflektiert sein. Das heißt, dass nicht die äußeren Bedingungen handlungsleitend für die Umsetzung von Aufgaben im Bereich der Organisationsentwicklung sein sollten, sondern dass hierfür vor allem (fach-) didaktische Kriterien zu entwickeln wären, die daraufhin die Grundlage für das Handeln im Bereich Organisationsentwicklung sind.

Der an diese Überlegungen anschließende und auf sie aufbauende Schwerpunkt meines Vortrages wird die Entwicklung, didaktische Begründung und Reflexion solcher Kriterien für fachspezifisches makrodidaktisches Handeln sein. Ich werde diese im Folgenden exemplarisch auf den Bereich der kulturellen Bildung bezogen vorstellen. Hiermit soll ein Stück weit einem m. E. problematischen Defizit in der Theoriebildung des Faches Kunstpädagogik begegnet werden, nämlich der geringen didaktischen Reflexion institutioneller Bedingungen und Grundlagen.

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5. Zertifizierung und Qualitätsaspekte in der außerschulischen Kunstpädagogik

5.1 Zertifizierung von Angeboten im Bereich der kulturellen Bildung nach formalen Kriterien

Seit wenigen Jahren spielen in fast allen Bereichen des Bildungssystems jenseits der staatlichen allgemein bildenden Schulen und staatlichen Hochschulen international standardisierte Normensysteme eine wichtige Rolle. Anzeigen, Prospekte und Programme zahlreicher Bildungsanbieter tragen das Signet „Zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem DIN ISO 9001″. Es wird bescheinigt von der ‚Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen mbH‘ (DQS). Die Normenreihe der ‚International Standardization Organisation‘ (ISO) ISO 9000-9004 beschreibt Gliederung und Elemente von Qualitätsmanagementsystemen und beansprucht branchen- und produktübergreifende Gültigkeit. Mehr als 70 Staaten haben diese Normenreihe inzwischen übernommen – in Deutschland das ‚Deutsche Institut für Normung‘ (DIN) (Faulstich 1995, S. 310). Ein solches Zertifikat regelt häufig den Marktzugang von Instititionen im Bildungsbereich. Eine Instituton gilt beispielsweise für Aufträge der Europäischen Union oder der Bundeswehr nur dann als vertragswürdig, wenn sie die ISO- bzw. DIN-Normen entsprechend erfüllt. Denn diese Auftraggeber können nicht selbst die Qualität von Bildungsangeboten vorab überprüfen. Inzwischen richten sich auch viele Unternehmen und Privatpersonen nach diesem zertifizierten Normenkatalog. Das zentrale Merkmal dieser Normierung ist, dass sie keine inhaltlichen Qualitätskriterien festlegt, sondern lediglich formale Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten regelt. Fragen, nach denen geprüft wird und die zur Zertifizierung führen, lauten beispielsweise:

– Sind die Vertrags- und Geschäftsbedingungen klar offengelegt?

– Wie wird der Entwicklungsprozess für neue Bildungs- und Beratungskonzeptionen gelenkt?

– Wie wird der Erfolg eines Angebots überprüft und verbessert?

– Welche Instrumente der Prüfung werden eingesetzt?

– Wie werden Mängel im Angebot festgestellt und beseitigt?

– Werden interne Verfahren zur Prüfung des Qualitätsmanagements (Qualitätsaudit) durchgeführt?

– Finden Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeitenden statt, und wie werden diese genutzt?

– Welche empirischen und statistischen Methoden (Befragungen, Interviews u. Ä.) werden eingesetzt?

– Verfügt die Institition über ein Gesamtverfahren als Qualitätsmanagementsystem? (Faulstich 1995, S. 315).

Mit solchen Fragen zu den Qualitätsaspekten werden auf rein formaler Ebene Abläufe und Verantwortlichkeiten erkundet. Über Kriterien zur Überprüfung und Beurteilung der Inhalte oder Ergebnisse der Lern- oder Bildungsangebote wird in den Normenkatalogen jedoch nichts gesagt.

Man mag aus dem Blickwinkel einer inhaltlich engagierten Kunst- und Kulturpädagogik solche formalen Kriterien nicht nur für formallastig, sondern auch für inakzeptabel halten, denn die Qualität von kulturellen Bildungsangeboten lässt sich nicht nach solchen Formalien ausrichten. Doch zeichnet sich die ISO-Normierung durch zwei zentrale Charakateristika aus, die der kulturellen Bildung durchaus als Vorteil gereichen können:

(1) Im Zentrum formal ausgerichteter Qualitätsprüfungen, beispielsweise nach der ISO/ EN/ DIN-Norm 9001ff., stehen nicht Ergebnisüberprüfungen, sondern Prozessverläufe, die jeweils zu gewissen Ergebnis- bzw. Erfolgsqualitäten führen sollen. Denn in der Statuierung von Prozessorientierung und Prozessqualitäten wird davon ausgegangen, dass Prozessverläufe ausschlaggebend sind für das Erreichen von Ergebnisqualitäten. Prozessverläufe geraten also hierdurch in den Blickpunkt. Die anvisierten Qualitätsziele können durchgängig als Prozessziele angesehen und beschrieben werden. „Die Norm bewertet die festgesetzte, definierte Qualität der Handlungsschritte (= Prozeßqualität), wodurch die Qualität der Handlungsergebnisse (= Ergebnisqualität) gewährleistet wird.“ (Knoll 1999, S. 176) Durch die Einführung eines prozessorientierten Qualitätsmanagements muss ein System eingeführt werden, das die Prozesse dokumentiert und aufrechterhält. Dieses System integriert alle Tätigkeiten, Prozesse und Strukturen, mit denen ein Ergebnis geschaffen wird. Ist die Qualität der Prozesse und Strukturen gesichert – so die Annahme – , dann wirkt sich dies auch qualitätsverbessernd auf die Ergebnisse aus. Gespeist werden diese Prozesse vor allem aus (a) Ideenbörsen, (b) Konferenzen der Beteiligten zur Strukturierung der Ideen und der Entwicklung überprüfbarer Veranstaltungsformen bzw. Teilaspekte von diesen („Qualitätsaudits“), (c) planmäßigen Schulungen und Weiterbildungsveranstaltungen der Mitarbeitenden, für die freilich der interne Fortbildungsbedarf ermittelt werden muss sowie (d) „Wartungen“ (Knoll 1999, S. 178), in denen erreichte Stardards gesichert werden und Kontaktpflege nach außen betrieben wird.

(2) Die Offenheit im Bereich der Inhalte ist hier deshalb beabsichtigt, um die Zertifizierung in weit gehend allen Bereichen der Dienstleistungsangebote von Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Die Diskussion und die Entscheidungen um inhaltliche fach- und bereichsspezifische Qualitäten wird in die jeweiligen Fachgebiete und Institutionen verlagert. Innerhalb der Qualitätsmanagementsystemprozesse, Klären – Beschreiben – Gestalten – Überprüfen, nimmt die Bewusstheit für die eigenen Tätigkeiten zu. Beliebigkeit von Entscheidungen und Handlungen kann vermindert werden. Es geht nicht darum, wie daraufhin etwas entschieden wird, sondern die Norm verlangt entsprechend, dass etwas entschieden wird. Hier liegt die Chance für fachdidaktische Folgen und situationsadäquate Entscheidungen auf der makrodidaktischen und mikrodidaktischen Handlungsebene, denn die Mitarbeitenden werden als Expertinnen bzw. Experten für ihren Tätigkeitsbereich inhaltlich und formal anerkannt und hierdurch auch motiviert.

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5.2 Modell der Differenzierung der Qualitätsaspekte kultureller Bildung

In vergleichbarer, in Kapitel 5.1 beschriebener Weise geht man bereits seit einigen Jahren in den ‚Zentren der Künste‘ in den Niederlanden vor. Nach der Festlegung der Kriterien für die „Basisqualität“ (Lebbink 1999, S. 22) einer Institution (s. u.) wurde das Modell „Integraler Qualitätsoptimierung“ entwickelt. Innerhalb dieses Modells wurde ein „Qualitätssystem für künstlerische Bildung“ etabliert. Hier handelt es sich um ein Selbst-Evaluationssystem, das keine Kontrollnormen enthält, aber die Einrichtungen sind verpflichtet, eine solche Evaluation durchzuführen. Der Zeitraum hierfür wurde zunächst offen gelassen, auch Ergebnisrichtlinien wurden nicht gemacht. Diese Aspekte wurden deshalb nicht reglementiert, da manche Einrichtungen mit der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen bereits fortgeschritten sind, während andere noch am Anfang dieser Entwicklung stehen; nicht zuletzt, weil es sich hierbei um kleine Einrichtungen mit niedrigem Personalbestand handelt (Lebbink 1999, S. 22).

Auch im „Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen“ (BJKE), sowie in deren Landesverbänden – allen voran in Nordrhein-Westfalen – zeichnet sich der Trend zu einer solchen Teilung immer stärker ab, und zwar einer Teilung zwischen formalen Aspekten, durch die man Angebote und Institutionen in einem sehr großen Bereich in Beziehung setzen kann, und inhaltlichen Aspekten, die jeweils auf einzelne Angebote, Institutionen oder Verbände bezogen sind. Der nordrhein-westfälische Landesverband, die „Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogischer Dienste/ Jugendkunstschulen NRW e. V.“ (LKD) schreibt sich das Motto „Vielfalt ist ihre Stärke“ (Honig 1999, S. 18) auf seine Fahnen und wirbt hiermit. Durch diesen Slogan werden nach Auffassung des Vorstandsmitglieds im Landesverband LKD, Christoph Honig jedoch zugleich „Widersprüche zugedeckt, Mängel versteckt und unterschiedliche Ansprüche, Kompetenzen und Methoden schöngeredet. Denn im Vielfaltsspektrum nordrhein-westfälischer Jugendkunstschulen gibt es nicht nur unterschiedliche Rahmenbedingungen, sondern auch erhebliche Qualitätsunterschiede. Das ist auch nicht weiter verwunderlich und auch nicht schlimm“, so Honig (Honig 1999, S. 18). „Schlimm dagegen ist, dass nicht darüber geredet wird und dass es sich scheinbar nicht ändert. Denn zur professionellen pädagogischen Arbeit gehört nicht nur eine solide Planung von Bildungsprozessen, sondern auch eine kompetente Reflexion, eine Nachbereitung und Auswertung, ob die Ziele des Bemühens erreicht wurden oder nicht oder nur in Teilen.“ (Honig 1999, S. 18) Soweit ist Honig auf der Grundlage der von mir in diesem Vortrag getroffenen Aussagen und Schlussfolgerungen durchaus zuzustimmen, doch liegt die Gefahr in der Akzeptanz solcher formaler Kategoriensysteme in der von Honig propagierten folgenden Forderung, wenn er sagt: „Qualität muss messbar werden und sich faktisch belegen lassen. Nur auf diesem Wege können wir plausibel Förderbedarf beweisen und stichhaltige Argumente z. B. für einen Wirksamkeitsdialog finden, ohne den eine Landesförderung in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden wird. Nun wird von uns erwartet, dass wir auch beweisen, was wir jahrelang behauptet haben: unsere Notwendigkeit und unsere Qualität.“ (Honig 1999, S. 20). Offensiv über die Qualität der eigenen Arbeit nachzudenken und diese weiterzuentwickeln sollte zugleich auch vor allem im eigenen Interesse der jeweiligen Einrichtungen liegen, das war Honigs erste, mit qualitativen Methoden zu verfolgende Forderung. Seine hieran anschließende Forderung zielt jedoch auf etwas völlig anderes: Sie zielt auf ein ‚Messen‘, ein angeblich faktisches Belegen, also eine Quantifizierung von Qualitätsaspekten. (Er sagt: „Qualität muss messbar werden und sich faktisch belegen lassen. Nur auf diesem Wege können wir plausibel Förderbedarf beweisen …“ (Honig 1999, S. 20). Solche angeblichen ‚faktischen Beweise‘ sollen mithilfe der üblichen Fragebögen erfolgen, die allerdings die fachspezifischen Besonderheiten des Feldes überhaupt nicht berücksichtigen.

Ein solches quantitatives Vorgehen birgt jedoch große Risiken, da in den Evaluationsprozessen nicht-kunstpädagogische Blickwinkel und Intentionen in der Vordergrund rücken. Negativbeispiele, etwa lediglich die Zufriedenheit von ‚Kunden‘ abzufragen, sind vorhanden, z. B. in einer Teilnehmerbefragung eines Modellversuchs mit dem Titel „Schule für Kunst und Theater“ der Jugendkunstschule der Stadt Neuss (Winzen 1993). Exemplarisch für diese nicht kunstpädagogische Haltung ist ferner die Aussage Christoph Honigs: „Alle Fragen, die die Qualität der pädagogischen und anderen zielgruppenbezogenen Dienstleistungen betreffen, können durch Befragung der Teilnehmer beantwortet werden. Durch Zielgruppenbefragungen erhält man nicht nur zuverlässige Daten über die Teilnehmer selbst, sondern auch Aussagen über die Güte des Angebots.“ (Honig 1999, S. 19) Solche meist quanititativ ausgewerteten Erhebungen (vgl. auch Kahl 1997) können aber keinesfalls primäres Mittel sein und schon gar nicht „alle Fragen, die die Qualität (…; G. P.) betreffen“ (Honig 1999, S. 19), beantworten, denn die Einschätzungen der Teilnehmenden sprechen nicht unbedingt kunstpädagogische Qualitäten an, sondern unterliegen häufig ganz anderen, etwa biografischen Ursachen. Man kann höchstens die momentane Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Angebot differenziert ermitteln – mehr nicht. Hierbei ist jedoch stets zu beachten, dass kunstpädagogische Angebote durchaus auch darauf angelegt sein können, nicht Zufriedenheit zu erzeugen, sondern unbequem zu sein, zu provozieren, zu irritieren, zu stören, aufzuwühlen und Widerspruch bei den Teilnehmenden zu erregen. Der ‚Traum vom Messen und Bewerten‘ sollte aus diesen Gründen durch professionellere und fachdidaktisch ergiebige, reflektierte und legitimierbare Evaluationssansätze für ein institutionelles Qualitätsmanagement abgelöst werden.

Das bedeutet nicht, dass die Qualitätsdiskussion unsystematisch, beliebig oder gar nicht erfolgen sollte; dies ließe sich nicht rechtfertigen. Ich plädiere dafür, möglicherweise mangelnde Transparenz und fachspezifische Defizite dadurch zu verringern, indem die Qualitätsdiskussion unter fachdidaktischen Gesichtspunkten systematisiert werden sollte. Die Qualitätsdiskussion kann durch variable Strukturelemente aus Evaluationsprozessen angeregt werden. Die Darstellung dieses Zwischenschritts stelle ich im vorliegenden Kontext zurück zugunsten der Konturierung und Klärung fachspezifischer Problembereiche im Kontext von Organisationsentwicklungsprozessen, auf die in der Kunst- und Kulturpädagogik verstärkt das Augenmerk gelegt werden sollte. Das Thema Evaluation wird weiter unten (Abschnitt 6.3) vertieft werden und kann auch in der Diskussion im Anschluss an diesen Vortrag zur Sprache kommen.

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6. Kritisches Fazit – Fünf Problembereiche von Organisationsentwicklung in der außerschulischen Kunstpädagogik im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Systemzwängen

Anhand von fünf Problemkreisen wird abschließend ein vorläufiges kritisches Fazit aus den bisherigen Überlegungen gezogen. Diese Themenbereiche markieren neuralgische Punkte im Überschneidungsbereich zwischen den Ansprüchen der Organisationsentwicklung und den fachspezifischen Merkmalen der Kunstpädagogik und führen so zu einer Klärung eines bis jetzt sehr herogenen und diffusen Feldes. Innerhalb dieser Problemkreise zeigen sich Chancen und Risiken der Entwicklung besonders deutlich. Sie sind im Fach zukünftig besonders in den Blick zu nehmen und theoretisch sowie praktisch zu erforschen und zu bearbeiten.

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6.1 Erster Problemkreis: Selbstverständnis klären und Leitbild konturieren

Organisationsentwicklungsprozesse und die Qualitätsdiskussion in kunst- und kulturpädagogischen Institutionen können Mittel der professionellen Selbstvergewisserung, der Klärung kunstpädagogischer Intentionen und der hierauf bezogenen Weiterentwicklung von Bildungsangeboten sein. Gegen dieses in der Literatur zur Organisationsentwicklung immer wieder bekräftigte heere Ziel sprechen oft jedoch ganz naheliegende Umstände: Unter anderem unter dem Druck der pädagogischen ‚Alltagsgeschäfte‘ des ‚Aufrechterhaltens des Betriebs‘, der verwaltungstechnischen Arbeiten sowie der Kontaktpflege zu Geldgebern und öffentlichen Verwaltungen bleibt den hauptamtlich Beschäftigten für die Entwicklung langfristiger kunst- und kulturpädagogischer Perspektiven und Strategien in der Regel kaum Zeit. Die auf Honorarbasis arbeitenden Kursleitenden sind zwar nahe an den Kursteilnehmenden und haben die Möglichkeit, Veränderungen in den Bedürfnis- und Anforderungsprofilen nachwachsender Generationen und Jahrgänge – auch sogenannte Trends – frühzeitig zu registrieren. Diese Honorarkräfte zeichnen sich jedoch durch die Art ihres Beschäftigungsverhältnisses zugleich häufig durch eine geringe Institutionenbindung aus. Zudem können sie Indizien oft nicht phänomenangemessen systematisch deuten; sie spüren sie eher, weil ihnen nicht immer der wissenschaftliche, bzw. professionsbezogene Deutungshintergrund gegeben ist. Traditionelle Aufgabe der hauptamtlich Beschäftigten, die in aller Regel ein kunst- bzw. kulturpädagogisches Studium absolviert haben, wäre es, Veränderungen im Kleinen wie im Großen zu registrieren, hieraus Perspektiven zu entwickeln, um Institutionenprofile und Angebotspaletten zu verändern. Eine solche Aufgabenverteilung wäre jedoch stark hierachisch geprägt. Die Klärung und Bearbeitung des fachbezogenen und institutionellen Selbstverständnisses ist hingegen im Ideal systemischer Modelle als ein Kreislauf zu verstehen, der jeweils ‚Eingaben‘ von allen Beteiligten benötigt, um in einem Gesamtprozess seine und deren Potenziale zu entfalten. Diese ‚Eingaben‘ – das ist ein Kernpunkt von Organisationsentwicklungsprozessen – sind nicht isoliert zu sehen und zu handhaben, sondern haben nur langfristig Rückkopplungswirkungen, wenn sie in Organisationsprozesse, an denen alle an der Institution Beschäftigten sowie externe Experten beteiligt sind, eingebettet sind. D. h. die Klärung des professionellen Selbstverständnisses auf institutioneller Ebene – was die parallele Klärung auf personaler Ebene zur Grundlage und auch zur Folge hat – darf nicht in lineare und hierarchische, sondern muss in systemisch konzipierte, komplexe, regelkreisähnliche Gesamtprozesse der Organisationsentwicklung eingebunden sein.

Eine der Hauptwirkungen von Organisationsentwicklungsprozessen in Verbindung mit Bemühungen um das Qualitätsmanagement mithilfe der ISO-Norm liegt darin, dass diese Bemühungen letztlich zum Kern des eigenen Selbstverständnisses und des eigenen kunstpädagogischen Tuns führen: „Was wollen wir – und was tun wir tatsächlich, um dies zu fördern und zu sichern und weiterzuentwickeln?“ Die handlungsbezogene Leitidee hierhinter lautet, den Rahmen und das Terrain bereitzustellen, in welchem diesen Organisationsentwicklungsprozess fördernde Potenziale entstehen und gefördert werden können. Organisationsentwicklung führt demnach in der Folge auch zu einer klareren Konturierung der eigenen Ansprüche und Erfolgskriterien; sie hilft hierdurch, ein „Qualitätsleitbild“ (Arnold 1999, S. 344) zu umreißen.

Solche Rückkopplungswirkungen, etwa in Form von Qualitätsaudits, durchzuführen, gestaltet sich nicht nur in der Praxis, sondern auch modelltheoretisch allerdings oft schwieriger, als es die Literatur zur Organisationsentwicklung glauben macht, insofern man in dem systemischen Modell die Komplexität erhöhende Faktoren berücksichtigt. Beispielsweise arbeiten kunst- und kulturpädagogische Institutionen zu einem sehr großen Teil mit Honorarkräften. Bezieht man deren Spezifika in die Überlegungen mit ein, wie etwa eine häufig geringe Institutionenbindung bei niedrigen Honorarsätzen, dann kann dies – bildlich gesprochen – Sand ins Getriebe des Qualitätskreislaufs bringen. Auch erwarten auf Honorarbasis Beschäftigte in aller Regel eine Vergütung, für die Zeit, die sie in der Einrichtung verbringen, also etwa für die Teilnahme an Qualitätsdiskussionen. Dem Klären des Leitbildes einer Institution muss zudem die Klärung der Leitbilder der einzelnen vorausgehen bzw. sie müsste parallel erfolgen. Soll dies feldadäquat passieren, so müssten qualifizierte Supervisions-Sitzungen in den Organisationsentwicklungsprozess eingebunden werden – ein weiterer Zeit- und Kostenfaktor.

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6.2 Zweiter Problemkreis: Hinterfragen der Reichweite systemisch orientierter Ansätze als Erklärungs- und Handlungsmodelle für Entwicklungsprozesse in kunstpädagogischen Institutionen

In der Praxis von Organisationslernprozessen kommt es immer wieder zu teils sehr großen Diskrepanzen zwischen Institutionszielen und individuellen Zielen der einzelnen Mitarbeitenden. Modelle zur Organisationsentwicklung gehen jedoch davon aus, dass diese Diskrepanzen in Qualitätsaudits, Diskussionsrunden, Supervisionen und Fortbildungen aufgehoben werden können – ja, beseitigt werden müssen, meist zugunsten der Institutionsziele.

Pointiert stellt sich anders formuliert die Frage: Inwieweit können es sich Organisationen überhaupt leisten, demokratische und emanzipatorische Verhaltensweisen ihrer Beschäftigten zu fördern, da Organisationsziele mit individuellen Zielen immer nur partiell übereinstimmen (Brüning 1997, S. 41)? Das Selbstverständnis einer Institution kann durch solche Prozesse in seinen tragenden Gedanken und Werten erschüttert werden. Ein grundsätzliches Hinterfragen der Institutionsziele und in der Folge deren Umorientierung muss auch stets möglich sein. Nicht nur individuelle Ziele und Organisationsziele können konträr sein, sondern auch inhaltlich kunstpädagogische Intentionen können marktwirtschaftlich orientierten Zielen zuwiderlaufen, zumindest sind diese häufig nicht kongruent. Die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Angebot ist eine weitere wichtige Einflussgröße. Solche Diskrepanzen sind letztlich in Prozesskreisläufen innerhalb der Organisationslernprozesse – mit offenem Ende – zu bearbeiten, z. B. in sogenannten Qualitätsaudits. Organisationslernen bietet ein systemisches Modell, wie divergierende Auffassungen in Rückkopplungsprozessen produktiv aufeinander bezogen werden können, dadurch dass die Beteiligten sich hierfür an einen formalen organisatorischen Rahmen halten. Dass auch dieser Rahmen auf’s Spiel gesetzt und in Frage gestellt werden muss, würde jedoch einem demokratischen und emanzipatorischen Umgangsstil entsprechen, ist jedoch innerhalb von Organisationsentwicklungsmodellen nicht vorgesehen.

Die anfangs aufgeworfene Frage nach der Bedeutung des systemischen Ansatzes für Organisationslernprozesse in der außerschulischen Kunstpädagogik kann nun insofern vorläufig beantwortet werden, als der systemische Ansatz den Blick aller Beteiligten auf die Wechselwirkungen von unterschiedlichsten Auffassungen, Entscheidungen und Handlungen innerhalb der Institution lediglich unter Einschränkungen transparent und auch bearbeitbar macht. (10)

Als problematisch kann sich herausstellen, dass Organisationslernen und -entwicklung von der Leitung einer Institution oft intentional, zielbezogen auszurichten versucht wird, indem die hierarchischen Strukturen wirksam werden. Eine solche Ausrichtung oder ‚Nötigung‘ (von Küchler/ Meisel 1999, S. 215) läuft jedoch systemisch verstandenen Organisationslernprozessen zuwider, sie schränkt deren Entfaltung zumindest ein. Der systemische Ansatz mag als theoretisches Modell zwar einsichtig sein, ist aber für die Praxis der Planung bzw. Initiierung solcher Prozesse auch in der außerschulischen Kunstpädagogik oft nicht ohne Abstriche umsetzbar. Eine eher hierarchische Struktur einer Organisation kann ihr innere Stabilität, Übersichtlichkeit und den Beteiligten auch emotionale Sicherheit vermitteln. Hierarchische Führungsstrukturen sind im Bereich kultureller und künstlerischer Organisationen häufig anzutreffen. Menschen mit Visionen – seien es Kuratoren, Museumsgründer, Stifter, Künstler sowie Schulgründer und Lehrende etwa am ‚Bauhaus‘ (abgesehen von der Gründungsphase) – setzten ihre Ideen durch und hatten oft im Nachhinein Erfolg gerade durch ihre kompromisslose Hartnäckigkeit. Von „lernenden Organisationen“ kann in diesen Fällen nicht gesprochen werden, da Entscheidungen nicht gemeinsam, sondern weit gehend ‚autokratisch‘ getroffen wurden. Hingegen sind im Kulturellen und Künstlerischen auch systemisch, bewusst nicht-hierarchisch organisierte Organisationsformen zu finden: z. B. Gruppierungen von Künstlerinnen und Künstlern, Gemeinschaftsateliers, Werkstätten, Kooperationen von gleichberechtigten Kuratorinnen und Kuratoren sowie Museen, selbstorganisierte Lernkontexte, in denen Gruppenmitglieder sich wechselseitig ihre spezfischen Kompetenzen vermitteln. Diese Art von Organisationsformen könnten Anregungen bieten, wie sich Aspekte und Grundintentionen der Organisationsentwicklungsprozesse auf die Kunst- und Kulturpädagogik übertragen lassen. Ein turnusmäßiges Treffen kann Elemente eines Qualitätszirkels oder eines Qualitätsaudits annehmen. Hierarchische Gegensätze lassen sich dadurch reduzieren, dass die hauptamtlich Beschäftigten auch eigene Kurse ausschreiben und selber durchführen. Fortbildungsangebote können nicht ausschließlich durch externe Experten, sondern – die Kompetenzen der Mitarbeitenden nutzend – auch durch Mitglieder der Organisation selber durchgeführt werden.

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6.3 Dritter Problemkreis: Evaluation und Selbstevaluation

Evaluation und Selbstevaluation sind integrale Bestandteile von Organisationslernprozessen, das gilt auch für kunst- und kulturpädagogische Institutionen: „Ausgehend von den gesetzten Zielen, Absichten, Sollbeschreibungen, Schwerpunktsetzungen und Leitfragen werden inhaltliche, organisatorische, infrastrukturelle und betriebliche Arbeitsfelder überprüft, um zu ermitteln, wieviel davon schon umgesetzt wird und wo es konkreten Handlungsbedarf gibt.“ (Honig 1999, S. 19).

Lange wurden die Diskurse um Evaluationen vom Gegensatz externer versus interner Evaluationen bestimmt. Für das kunst- und kulturpädagogische Feld hat sich eine solche Polarisierung jedoch als nicht fruchtbar erwiesen. Selbstevaluationssysteme, so eine Erfahrung in diesem Bereich, unterliegen keinen Kontrollnormen, und sie sollten dies auch nicht. Ihre Durchführung wird jedoch häufig extern als verpflichtend auferlegt. Hierhinter steht demnach die Hoffnung, dass solche „integralen“ (Lebbink 1999, S. 22) – im Sinne von systemisch gedachten kooperativen Selbst-Evaluationsprozessen – zu einer spezifischen Ausprägung eines jeweils veränderten Qualitätsprofils einer Institution führen werden. Eine zweite Form der behutsamen Einflussnahme von außen in Selbstevaluationssysteme besteht darin, dass solche Prozesse von einem Externen beratend moderiert werden können, wie es beispielsweise die ISO/DIN-Norm vorsieht (Knoll 1999; Bammé 1999, S. 6f.). Mit hoher Wahrscheinlichkeit auftauchende Konflikte sollen hierdurch oft für alle Beteiligten akzeptabel bearbeitet werden. Dieses „System der Integralen Qualitätsoptimierung“ (Lebbink 1999, S. 22) soll eine so genannte „Basisqualität“ (Lebbink 1999, S. 22) der Institutionen sichern, wie sie beispielsweise an den Kunstschulen in den Niederlanden verfolgt wird. Ein Element des Evaluationskontextes, die so genannte „Output-Orientierung“ soll dort in Zukunft verstärkt in den Vordergrund treten. Hierzu sagt die Direktorin der beratenden Instanz der niederländischen ‚Zentren der Künste‘, Gusta Lebbink: „Wir führen heute Gespräche mit den verschiedenen Interessengruppen: den Gemeinden, den Besuchern, der Provinz, dem Ministerium und den Schulen darüber, welche Qualitäten ihnen in den Instituten wichtig sind, deren Kunde sie ja schließlich sind.“ (Lebbink 1999, S. 22) Die Gemeinden erwarten beispielsweise in diesem Zusammenhang als finanzielle Zuschüsse Gebende, dass die kunstpädagogischen Einrichtungen in Netzwerken eingebunden sind, dass sie Kooperationen mit ortsansässigen Museen, Theatern oder Schulen eingehen. Der Dienstleistungscharakter kunst- und kulturpädagogischer Tätigkeiten bekommt hierdurch ein wesentlich stärkeres Gewicht.

Evaluationen und Selbstevaluationen haben freilich ihre Grenzen, da das Ausmaß der Standardisierbarkeit und Normierung in den Feldern der kulturellen Bildung zweifellos nicht auf alle zentralen Bereiche ausgedehnt werden kann (vgl. Abschnitt 5.2). Zu folgern ist, dass es Qualitäten gibt, die kaum zu kontrollieren und nicht zu messen sind, sondern die sich im Grunde am ehesten substanziell nur über Evaluationszirkel, die die zeitliche Dimension und die bewussten pädagogisch initiierten Irritationen innerhalb von Bildungsprozessen stärker beachten, und über die individuelle Beratung bearbeiten lassen (Lebbink 1999, S. 22). Dies kann mittels eigens hierfür zuständiger fachspezifisch ausgebildeter Berater und Beauftragter geschehen.

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6.4 Vierter Problemkreis: Lerninfrastruktur schaffen

Wenn in einer kunst- bzw. kulturpädagogischen Bildungseinrichtung Organisationsentwicklungsprozesse durchgeführt werden sollen, dann geht es darum zu erkunden, welche notwendigen Rahmenbedingungen sich eine Organisation in der Kunst- und Kulturpädagogik zunächst schaffen kann, dass die einzelnen Mitarbeitenden kooperativ in Teams und als gesamte Einrichtung besser, intensiver und vielleicht auch schneller lernen. Ohne die Konzipierung und das Arrangement solcher Grundvoraussetzungen von Organisationslernprozessen – sprich einer „Lerninfrastruktur“ (Brüning 1997, S. 41) – wären anvisierte Veränderungsprozesse gefährdet.

Diese Voraussetzungen für eine ‚Lerninfrastruktur‘, die neben der üblichen Arbeitsinfrastruktur gepflegt werden sollte, sind von der Organisation zunächst intern bereitzustellen. Diese Bereitstellung ist Teil der Organisationsentwicklung. Lerninfrastruktur und Arbeitsinfrastruktur sind hierbei aufeinander zu beziehen, sie müssen sich wechselseitig ergänzen. „Der reflexive Prozeß über Planung, Ausführung, Korrektur der Arbeitsverläufe und Arbeitsergebnisse sowie die Rückkopplung zu Planung und Ausführung nicht nur der Leitung, sondern aller Beteiligten ist kennzeichnend für lernende Organisationen.“ (Brüning 1997, S. 41) Soll das Ziel Organisationslernen nicht zum bloßen Postulat verkommen, bedarf es demnach der systematischen Beschäftigung mit den möglichen Umsetzungsschritten und mit den Hilfsmitteln, die für eine solche Entwicklung zur Verfügung stehen, dies wurde anhand der Segmente ‚Zertifizierung‘ (vgl. Abschnitt 5.1) und ‚Qualitätskriterien‘ (vgl. Abschnitt 5.2) exemplarisch dargestellt. Weitere oben angesprochene Bereiche sind: Selbstevaluation und Evaluation (vgl. Abschnitt 6.3). Ein Beispiel als ‚Baustein‘ aus dem Bereich der Personalentwicklung liefert die wissenschaftliche Forschung Hannelore Bastians. Bastian entwarf aufgrund einer qualitativen Erhebung unterschiedliche Profile von Kursleiterinnen und Kursleitern im Bereich ‚Kultur – Gestalten‘ an Volkshochschulen. Für viele der Kursleitenden ist ihr Selbstverständis als Künstlerin oder Künstler nicht nur in der Form der Kursleitung handlungsbestimmend, sondern auch in der Rezeption von Fortbildungsangeboten, die in den Bereich der Lerninfrastruktur einer Organisation fallen. Mit den Erkenntnissen ihrer Forschungsarbeit kann die Fortbildungspraxis der Volkshochschulen in diesem Bereich – ein zentraler Punkt für das Prinzip der ‚lernenden Organisation‘ – entsprechend rückgekoppelt adäquater nach den Bedürfnissen und Interessen der Kursleitenden ausgerichtet werden (Bastian 1997).

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6.5 Fünfter Problemkreis: Außerfachliche Nützlichkeitskalküle und Einflussfaktoren

Oben (vgl. Abschnitt 6.3) wurden bereits im Zusammenhang mit Überlegungen zur Evaluation marktwirtschaftliche Aspekte und Zwänge angesprochen, die Organisationsentwicklungsprozesse beeinflussen können. Außerfachliche Nützlichkeitskalküle geraten hierdurch in den Vordergrund und können handlungsleitend werden. Eine kunst- und kulturpädagogische Institution befindet sich immer in einem gesellschaftlichen Umfeld und ist somit auch von Interessen beeinflusst, in denen andere, etwa marktwirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund stehen. Aber auch intern spielen in einer Einrichtung freilich nicht-kunstpädagogische Aspekte eine wichtige Rolle, etwa biografische Charakteristika der Mitarbeitenden. Organisationslernprozesse können in dieser Hinsicht als Instrumente zur Katalyse und zur Steuerung solcher grundlegenden Prozesse angesehen werden. Doch es besteht die Gefahr, dass durchaus sinnvolle und feldadäquate Merkmale wie ‚produktives Chaos‘, situative Kontextualität, ‚Querdenken‘ oder intellektuelle Subversivität, die für die kunst- und kulturpädagogische Praxis als unabdingbar auch empirisch nachgewiesen wurden (Zacharias 1995; Peez 2000), in managementorientierten Organisationsentwicklungsprozesse verloren gehen können.

Der Druck nach der Aneignung von Wirtschaftlichkeitsdenken innerhalb von Non-Profit-Organisationen kann einer Paradoxie gleichkommen: Viele Organisationen sind auf (gemeinnütziger) Vereinsbasis organisiert und dürfen deshalb keine Gewinne erwirtschaften. Zugleich aber bekommen Formen eigenbetrieblich verantworteter Wirtschaftlichkeit einen immer höheren Stellenwert. Durch Überschüsse in bestimmten Bereichen lassen sich sowohl innovative, profilbildende Angebote ‚subventionieren‘, um sie auf den örtlichen Bildungsmarkt zu etablieren als auch Angebote finanzieren, die sich an sozial schwächere Zielgruppen richten.

Ferner sind mit der Erwartung der Qualitätssteigerung Investitionen in neue Bereiche verbunden, etwa in neue Hardware für die ästhetische Bildungsarbeit, in die Werbung oder die Anmietung von Werkstätten und Künstlerateliers. Wirtschaftlichkeitsdenken kann somit als eine der Grundbedingungen außerschulischer Kunstpädagogik auf der metadidaktischen Ebene angesehen werden, um die jeweiligen Einrichtungen innovativ weiterzuentwickeln. In der traditionellen Kunst- und Kulturpädagogik wurden die konstitutiven Aspekte der Markt- bzw. Dienstleistungsbeziehungen zwischen Teilnehmenden, Leitenden und der anbietenden Institution eher verborgen und ausgeblendet (Peez 1992). Der Diskurs um die Organisationsentwicklung trägt hier zumindest insofern zu einer Offenlegung dieser Aspekte bei, als diese Rahmenbedingungen als ein Einflussfaktor für kunstpädagogische Aktivitäten angesehen werden.

Einer der wichtigsten Faktoren, die gegen Organisationsentwicklungskonzeptionen sprechen, sind Argumente, die sich gegen die implizite Formalisierung und Bürokratisierung solcher Prozesse wenden. Sicher ist: Ein ‚bürokratischer Wasserkopf‘ entsteht und vergrößert sich, der alleine nur die Regelung von Systemprozessen überwacht und zu beeinflussen versucht. Dieses Strukturprinzip der Bürokratisierung enthält paradoxe Elemente einer non-dirigistischen Hierarchisierung, weil die Bürokratie innerhalb der Organisationsentwicklungsprozesse eindeutig Macht ausübt; und zwar eine Macht, die sich als diskursiv ‚tarnt‘. Das heißt, hier handelt es sich um eine Macht, die sich über Beratung, Überzeugungsarbeit und allgemein über scheinbar kollegiale und zudem pädagogisierte Umgangsformen ausdrückt. Statt Entscheidungen (‚nach unten‘) durchzusetzen, werden die beteiligten Menschen ‚sanft‘, aber sehr bestimmt dazu veranlasst, sich in die auferlegten Organisationslernprozesse zu integrieren. Diese Strukturen und Mechanismen der Integration von möglichst allen Beteiligten in die Organisationsentwicklungsprozesse sind bei den oben geschilderten Standardisierungen und Normierungen von kunst- und kulturpädagogischer Bildungsarbeit zu beobachten. Und sie sind abzulehnen.

Sowohl die Formalisierung als auch die Bürokratisierung erhalten ihre gegenwärtige ‚Macht‘ dadurch, dass sich ihre Standards in völlig unterschiedliche Kontexte eingefügt werden können. Zumindest zeichnen sich diese Standardisierungsinstrumente durch ein hohes Maß an Flexibilität aus, ein Merkmal, das ihren Einflussbereich sehr vergrößert. Mittels empirischer Studien – so der aus meinen Ausführungen sich ableitende Forschungsbedarf – ließe sich erkunden, ob und inwieweit sich Organisationslernen und individuelles Lernen in einer Organisation im Sinne der Standardisierungsintentionen von Steuerungssystemen aufeinander beziehen. Es ließe sich zudem erkunden, welche alternativen Modelle bzw. Modellvariationen die Autonomie und Individualisierung einer kunst- bzw. kulturpädagogischen Einrichtung feldadäquater fördern als eine systemisch orientierte Organisationsentwicklung dies vermag. Eine weitere Erkundungsperspektive wäre, was mit denjenigen Organisationen und Individuen geschieht, die nicht normkompatibel sein wollen oder können und sich diesen flexiblen, aber allgegenwärtigen Systemsteuerungsprozessen verweigern. Anhand solcher ‚Querdenker‘ und ‚Quertreiber‘ ließe sich die Reichweite des Einflusses der Formalisierungs- und Bürokratisierungsprozesse fachbezogen erforschen.

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Anmerkungen

1 Der Erwachsenenpädagoge Rolf Arnold bestimmt den systemischen Ansatz innerhalb von Organisationsentwicklungsmodellen praxis- und handlungsbezogen folgendermaßen: „‚Systemisch‘ bedeutet, daß absichtsvolles und zielgerichtetes Handeln zur Entwicklung komplexer Strukturen zwar als möglich angesehen wird, aber eben nur dann, wenn die Ziele, Potentiale und Eigendynamiken der einzelnen Organisationseinheiten und der in ihnen tätigen Menschen zum Ausgangspunkt genommen werden, denn Systeme funktionieren überwiegend selbstorganisiert und auf ihre eigenen Strukturen und Abläufe rückbezogen (selbstreferentiell geschlossen). Nachhaltige Entwicklungen oder gar Innovationen sind ‚von außen‘ somit sowieso grundsätzlich nicht wirklich erreichbar. Organisationen entwickeln sich nahezu ausschließlich durch interne Anlässe, wie die neuere Organisations- und Managementforschung mehrfach empirisch belegt hat.“ (Arnold 1999, S. 344)

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2 Kunstpädagogik, die in diesem Vortrag im Mittelpunkt steht, ist als ein Teilbereich der ‚kulturellen Bildung‘ bzw. des Bereichs ‚Kultur – Gestalten‘ zu verstehen. Hierbei halte ich mich an die Bereichsgliederungen innerhalb der empirischen Erhebungen des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (Stang/ Peez u. a. 1998; Pehl/ Reitz 1999). Sind die Adressaten außerhalb der allgemein bildenden Schulen Kinder und Jugendliche, so wird die Bezeichnung ‚Kulturpädagogik‘ häufiger genutzt. ‚Kulturpädagogik‘ hängt stark mit dem Praxisbereich der Jugendkunstschulen zusammen. Innerhalb der Kulturpädagogik ist wiederum der kunstpädagogische Anteil der, welcher sich vor allem den bildnerischen Arbeitsverfahren widmet.

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3 Die Tragfähigkeit des systemischen Ansatzes in Hinblick auf die Praxis kultureller Bildung müsste empirisch untersucht werden. Für die Beratungspraxis im Bereich der Organisationsentwicklung in Erwachsenenbildungsinstitutionen schreiben Felicitas von Küchler und Monika Pfirrmann, dass sich für die von ihnen durchgeführte Form der Beratung im Bereich Organisationsentwicklung ein systemischer Habitus als hilfreich erwiesen habe; sie zitieren: „Ein systemisch denkender und handelnder Berater wird immer Distanz zum Klientensystem wahren und nicht einseitig Veränderungen propagieren. Statt dessen hat er im Blick, daß sich Systeme selbstorganisieren und ein Gleichgewicht von Verändern und Bewahren bestehen muß.“ (Schlippe/ Schweitzer nach v. Küchler/ Pfirrmann 1997, S. 33)

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4 In der Literatur wird auch von „Change Management“ oder „Business Reengeneering“ gesprochen (Geißler 1995b, S. 371). Rieckmann zeichnet die unterschiedlichen Varianten von ‚Organisationsentwicklung‘ historisch nach (Rieckmann 1991).

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5 Der Organisationsbegriff umfasst u. a. Unternehmen, Behörden, Universitäten, Verbände, Vereine und beispielsweise auch kunst- und kulturpädagogische Institutionen. Er enthält Assoziationen zum Physisch/Körperlichen durch seine Nähe zu den Bezeichnungen ‚Organ‘ und ‚Organismus‘. Organe kooperieren allerdings innerhalb eines Organismus‘ in der Regel nicht-hierarchisch und wechselseitig miteinander und erhalten durch ihre Funktionen den Organismus am Leben. Organisationen, von denen hier gesprochen wird, sind hingegen hierarchisch aufgebaut.

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6 Der Wirtschaftsdidaktiker Franz Decker bestimmt in Berufung auf Peter Senge eine „lernende Organisation“ als „eine Gruppe von Menschen, die einander brauchen, um etwas zu erreichen, und die im Laufe der Zeit kontinuierlich ihre Fähigkeiten erweitern, um das zu erreichen, was sie wirklich (gemeinsam) anstreben“ (Decker 1997, S. 26).

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7 Der Erwachsenenbildner Hans Tietgens wendet beispielsweise ein, es handele sich beim Thema „Lernende Organisation“ um einen „Modebegriff“ (Tietgens 1997, S. 40), und Tietgens verweist darauf, dass „alles schon einmal dagewesen ist“ (Tietgens 1997, S. 40). Dieser Ansicht schließe ich mich nicht an, denn es ist m. E. erforderlich, Entwicklungen differenzierter zu sehen und vor allem auch diese Entwicklungen in der entsprechenden Terminologie innerhalb der gegenwärtigen Theoriediskurse zu analysieren. Systemisches Denken war z. B. ‚früher‘ – Tietgens bezieht sich auf die Siebziger- und frühen Achtzigerjahre – in der Pädagogik noch nicht entsprechend anerkannt, entwickelt und ausdifferenziert.

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8 Unter Didaktik wird „die wissenschaftliche Reflexion des Lehrens und Lernens“ (Heursen 1989, S. 307) verstanden.

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9 Gleiches tut der Erziehungswissenschaftler Gerd Heursen, wenn er schreibt: „Seltsamerweise reflektieren die vorliegenden gängigen Theorien organisierten Lehrens und Lernens (…; G. P.) nur selten die institutionelle Gebundenheit jeglichen didaktischen Handelns.“ (Heursen 1989, S. 314) Der Aspekt der Institutionalisierung wird oft lediglich im Rahmen radikaler Schulkritik erörtert. Didaktik, so Heursen, sollte nicht nur die institutionellen Rahmenbedingungen, sondern auch ihr lernökologisches Umfeld in die Reflexionn einbeziehen (Heursen 1989, S. 314).

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10 Wie die Praxis nach dem systemischen Ansatz im Feld konkret anwendungsbezogen aussieht, müsste aufgrund von Modellversuchen und deren empirisch-evaluativen Auswertungen genauer betrachtet werden. In anderen außerschulischen Bildungsbereichen wurden bei der Anwendung dieses Ansatzes Erfahrungen in Hinblick auf die Weiterentwicklung der Organisationen gemacht (Knoll 1999; Heinen-Tenrich 1999). In diesem Sinne resümieren auch Felicitas von Küchler und Klaus Meisel als Verantwortliche des Projekts „Qualitätssicherung“ des „Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von zuständigen Ministerien aus sieben Bundesländern gefördert wurde: „Charakteristikum dieser neuen Qualitätsansätze ist zum einen, daß sie die Dimension der Organisationsqualität gezielt in den Blick nehmen, und zum anderen, daß sie systematisch die verschiedenen Ebenen der Qualität (der System-, Organisations- bzw. Einrichtungs-, Angebots- bzw. Veranstaltungs-, Ergebnisqualität) miteinander verknüpfen und damit die Beteiligten in den Weiterbildungseinrichtungen dazu ‚nötigen‘, sich trotz unterschiedlicher institutioneller Arbeitsplätze in einem gemeinsamen Qualitätssystem zu verorten und alle relevanten Faktoren in Abhängigkeit voneinander zu diskutieren. Qualitätsmanagement ist so gesehen eine systematische Hilfestellung, um das Handeln in Systemzusammenhängen zu lernen und auf Dauer zu stellen (lernende Organisation).“ (von Küchler/ Meisel 1999, S. 215)

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Literatur

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Bibliografische Angaben zu diesem Text:

Peez, Georg:Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagementaspekte in der kulturellen Bildung. Eine kritische Betrachtung gegenwärtiger Kontrollmechanismen und Managementkonzepte für kunst- und kulturpädagogische Einrichtungen. Außerschulische Kunstpädagogik zwischen Autonomie und Systemzwängen. http://www.georgpeez.de/texte/oe.htm