Rezension von Barbara Lutz-Sterzenbach zu: Glaser-Henzer, Edith / Diehl, Ludwig / Diehl Ott, Luitgard / Peez, Georg: Zeichnen: Wahrnehmen, Verarbeiten, Darstellen. Empirische Untersuchungen zur Ermittlung räumlich-visueller Kompetenzen im Kunstunterricht. München (kopaed) 2012 |
Forschungsprojekt zur Kinderzeichnung
„raviko“, ein länderübergreifendes Forschungsprojekt zur Kinderzeichnung, wurde von 2007 bis 2010 an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz von einem Team unter Leitung von Edith Glaser-Henzer mit Beratung von Georg Peez durchgeführt. Die vorliegende Publikation basiert auf dem nun vorliegenden Abschlussbericht der Untersuchung, die in jeder Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden muss. Der Band kann wissenschaftlichem Nachwuchs ebenso wie Vermittlern in der schulischen Praxis als grundlegende Lektüre zur Zeichnung sehr empfohlen werden. Bereits die Präsentationen auf den Kongressen zur Kinder- und Jugendzeichnung in Augsburg (2009) oder Leipzig (2012) mussten jedem als innovativ und spannend auffallen, der sich mit (Kinder-)Zeichnung in Vermittlungssituationen oder wissenschaftlich forschend auseinandersetzt. In dieser Untersuchung wurde (von Ausnahmen abgesehen) erstmalig systematisch mit Mitteln der qualitativ empirischen Forschung der Zeichenprozess von 10-13-jährigen Schülerinnen und Schülern im Unterricht untersucht. Während in der bisherigen Forschung der Kinderzeichnung das Produkt (die Zeichnung) vielfältig analysiert und kommentiert wird, gilt der Fokus des Schweizer Forschungsteams dem Entstehungsprozess der Zeichnung. Diese wissenschaftliche Untersuchung zielt darauf ab, räumlich-visuelle Wahrnehmungsprozesse bei Kindern zu erforschen, um aufgrund der differenzierten Erkenntnis über deren kognitive und leibbezogene Verarbeitung empirisch begründete Kompetenz-Beschreibungen zu entwickeln. In einem kunstpädagogischen Diskurs, der aktuell maßgeblich um Bildungsstandards und Kompetenzen kreist, stellt eine Untersuchung wie „raviko“ wertvolle Hinweise zur Entwicklung der persönlich geprägten Bildsprache bereit, wie auch zu einer Bildsprache, die allgemeinen Entwicklungsstufen unterliegt. Dieses Wissen, resultierend aus den Ergebnissen der empirisch qualitativen Untersuchung mittels Triangulation (Untersuchung der Kinderzeichnung, Analyse des videografierten Zeichenprozesses und der narrativ-fokussierten Leitfaden-Interviews) begründet ein Nachdenken über räumlich-visuelle Kompetenzen und eröffnet die Möglichkeit für eine kundige Diskussion über die Gestaltung von Curricula.
Die Publikation stellt knapp und präzise das Forschungsprojekt vor und zeigt beispielhaft, wie empirisch-qualitative Forschung konzipiert, reflektiert und präsentiert werden kann: Nach Einführung und Begriffsklärung folgen Ausführungen zu den Forschungsschwerpunkten und -methoden. Die didaktischen Settings werden übersichtlich und anschaulich dargestellt, die Forschungsergebnisse zur Raumdarstellung und zu räumlich-visuellen Verarbeitungskompetenzen werden mit begleitenden Abbildungen analysiert und kommentiert. Ein Resümee, die Formulierung weiteren Forschungsbedarfs, ein Sachregister sowie Tabellen und weiteres Datenmaterial zum Forschungsprojekt vervollständigen die Ausführungen zum Zeichnen im Kontext Wahrnehmen, Verarbeiten und Darstellen. Außerdem birgt diese Publikation anregende Impulse für die schulische Zeichenvermittlung in Form didaktischer Settings und Aufgabenstellungen. Das Forschungsteam konzipierte z.B. Parcours, die den Kindern erlauben, in der Schule arrangierte Räume durch Eigenbewegung des ganzen Körpers zu erleben und sensomotorisch zu erforschen. Ein altersadäquater thematischer Faden („Piraten“) zieht sich durch motivierende und komplexe Settings, die Wahrnehmungserfahrungen mit unterschiedlichen Sinnen ermöglichen und beispielhaft demonstrieren, wie spielerisch, ganzheitlich und zugleich reflektiert und anspruchsvoll Zeichenprozesse angeregt werden sollten.
erschienen in: Kunst+Unterricht Heft 366/367 2012, S. 86-87
Rezension im BDK-INFO, Zeitschrift des Fachverbandes für Kunstpädagogik in Bayern, 19, 2012, S. 74