Rezension von Holger Erbach (BDK, Baden-Württemberg) zu: Werkstatt: Kunst. Anregungen zu ästhetischen Erfahrungs- und Lernprozessen im Werkstattunterricht. Herausgegeben von Constanze Kirchner und Georg Peez. BDK-Verlag, Hannover 2001

Rezension von Holger Erbach (BDK, Baden-Württemberg) zu:

Werkstatt: Kunst. Anregungen zu ästhetischen Erfahrungs- und Lernprozessen im Werkstattunterricht. Herausgegeben von Constanze Kirchner und Georg Peez. BDK-Verlag, Hannover 2001

Die vorliegende Publikation ist buchgewordenes Ergebnis des Kunstpädagogischen Tages, der im März 2000 in Kassel stattfand. Wie dieser ist sie gegliedert in einen theoretischen – die Vorträge des Vormittags finden sich veröffentlicht – und einen Praxisteil: Leiter der Arbeitsgruppen, die am Nachmittag das „Prinzip Werkstatt“ exemplarisch zu demonstrieren versuchten, beteiligen sich mit Beiträgen. Im ersten Aufsatz beschreiben die Herausgeber ihr Anliegen, zeigen Entstehung und Gliederung des Buches auf und versuchen, dem Thema eine erste theoretische Umgrenzung zu geben. Im Folgenden soll nun auf den theoretischen Teil ausführlicher eingegangen werden, wobei die Herausgeber mit dem ersten Aufsatz einen wichtigen Auftakt geben, der in die Fragestellung einführt.

Constanze Kirchner und Georg Peez: Kunstunterricht als Werkstatt. Aspekte ästhetischer Erfahrungs- und Lernprozesse im Werkstattunterricht (S. 8-21)
Aus der Feststellung, dass das Thema „Werkstatt“ in allen Fächern Hochkonjunktur habe, es eine unüberschaubare Fülle an methodischer Literatur und Unterrichtsmaterialien gebe, der Werkstattgedanke aber zu einem diffusen (fach-)didaktischen Bedeutungsgemenge geworden sei, leiten die Autoren die Notwendigkeit ab, eine Konturierung vorzunehmen. Aus fachlicher Sicht erscheine dies um so wichtiger, da der Kunstunterricht mit seinen Anteilen des bildnerischen Tuns eine große Nähe zum Werkstattgedanken habe. Es gehe dabei nicht um eine abschließende Begriffsklärung, Ziel sei jedoch, Anhaltspunkte für eine theoretische und historische Erörterung zu geben. Dies werde ergänzt durch exemplarische Praxisdarstellungen.
In Auseinandersetzung mit dem hessischen Rahmenplan wird darauf verwiesen, dass die dort eingeforderte schöpferische Selbsttätigkeit nicht bedeuten könne, dass Lehrende nur noch beratende Experten seien. Hier beziehen die Autoren deutlich Stellung: […] über die Beratung hinaus müssen inhaltliche Angebote […] gemacht werden, die von den jeweiligen Interessen der Kinder und Jugendlichen ausgehen. Kinder und Jugendliche brauchen häufig ganz direkte Hilfestellungen, zum Teil auch konkrete Aufgabenstellungen. Dahinter steht wohl die Sorge, dass nun das Pendel von zu starker Operationalisierung umschlägt zum Verweigern inhaltlich-thematischer Hilfen und Beliebigkeit. In der Schulpraxis dürfte aber, so denke ich, das Problem noch lange in der starken und linearen Unterrichtsführung liegen.
Aufschlussreich und dem Leser eine gute Hilfe beim gedanklichen Einstieg in das Thema werden nun vier Werkstattbegriffe ausdifferenziert:
– Die Werkstatt als Ort der Erfahrung lässt deutlich den alltäglichen Werkstattbegriff anklingen.
– Werkstatt als Unterrichtsprinzip (prozessorientiert, experimentell, selbstgesteuert) deutet die angestrebte Veränderung des schulischen Lernens an: Aktive Wahrnehmung und handelnde Aneignung von Wirklichkeit.
– Steht der Subjektbezug im Vordergrund, lässt sich ein immaterielles Werkstattverständnis formulieren: Ein geistiger Prozess des Involviertseins in das ästhetisch-praktische Tun.
– Der Kunstbezug tritt bei der letzten Begriffsauffassung in den Vordergrund: Werkstatt als künstlerischer Ort, als begehbares, benutzbares, interaktiv kommunizierbares Kunstwerk.
Den Kernpunkt aller vier Auffassungen zum Werkstattbegriff sehen die Herausgeber in dem Moment der Selbststeuerung des bildnerisch-ästhetischen Handelns und in der Tendenz zur Öffnung der Schule und des Unterrichts. Hier findet sich nun auch eine erste zusammenfassende Einschätzung der didaktischen und pädagogischen Potenz des Werkstattlernens: Es scheine in besonderer Weise geeignet, ästhetische Erfahrungen zu erzeugen, freizusetzen bzw. diesen Ausdruck zu verleihen.
Zu dem Vorhaben, Klärungs- und Orientierungshilfe zu leisten, trägt dieser einleitende Aufsatz vor allem durch die knappe Aufarbeitung des Werkstattbegriffes schon erheblich bei. Zudem lässt er bei der Rezeption des gesamten Buches deutlich werden, dass die Herausgeber durchaus in einem kritischen Verhältnis zu den abgedruckten Beiträgen stehen. Auch wenn diese Kritik nicht direkt formuliert wird, so entdeckt sich dem Leser bei der Lektüre vor allem der Praxisvorschläge schnell, wie weit diese teilweise hinter dem ambitionierten Konzept zurückbleiben. Umso erfreulicher, dass diese Beurteilung dem mündigen Leser überlassen bleibt und nicht vorweggenommen wird.

Die nun folgenden Aufsätze des Theorieteiles sollen in Ihrer Thematik nur umrissen werden.
Dorit Bosse möchte unterschiedliche Möglichkeiten des Werkstattprinzips ausloten, indem sie der Frage nach der spezifischen Ausprägung der Werkstätten nachgeht. Sie unterscheidet illustriert von sechs Abbildungen mit Werkstattsituationen mehrere Typen und setzt beim Begriff „ästhetische Erfahrung“ an.
Herbert Hagstedt stellt die Hand der schweigenden Befehle bei der Computerbedienung, von ihm als betrogene Hand bezeichnet, der Hand als eigentlichem Organ der tastenden Gestalterfassung und Gestaltbildung gegenüber.
Für Bernhard Balkenhol ist der Computerraum eine vorgetäuschte Werkstatt mit virtuellen Werkzeugen.
Adelheid Sievert begründet ihre Forderung nach einer Kunstwerkstatt mit den immer geringer werdenden Handlungsmöglichkeiten für Kinder.
Das Problem der Leistungsbewertung skizziert Ariane Garlichs im Spannungsfeld zwischen den notwendigen bewertungsfreien (nicht leistungsfreien) Räumen für freies Gestalten und dem durchaus bewertbaren Lösen vorgegebener Aufgabenstellungen.
Werner Stehr schlägt schließlich den Bogen zur fachdidaktischen Diskussion der Neunziger. Die in der ästhetischen Erziehung zu erwerbenden Kompetenzen – Lernen und Begreifen im unmittelbarsten Sinne – haben eine existentielle Dimension, ästhetische Erfahrung sei ein Modus von Welterfahrung. Das Werkstattkonzept bilde die hierzu passende Form.

Mit den folgenden neun Aufsätzen gewinnt der Leser im Praxisteil, nun gut präpariert durch den vorangestellten Theorieteil des Buches, einen Überblick, wie sich Kolleginnen und Kollegen, die sich dem Werkstattkonzept verpflichtet fühlen, eine Umsetzung in die Praxis vorstellen. Dabei ist aufschlussreich, wie weitgefächert sowohl das Themenangebot als auch die didaktisch-methodische Spannbreite sind: Hasen-Werkstatt im Schrank, großformatiges Drucken in der Grundschule, Stationendrucken in der 1. Klasse, Zeichenwerkstatt, Stationenarbeit mit unterschiedlichen Themen und Techniken, Aktionsexperimente, Szenisches Spiel, Computer-Werkstatt und Werkstatt zum Thema „Selbstdarstellung“.
Innerhalb dieses thematischen Spektrums demonstrieren die Autorinnen und Autoren in den einzelnen Beiträgen höchst unterschiedliche Zugangsweisen zum Themenkomplex „Werkstatt“. Die Statements reichen von der Einschätzung Klassenräume sind gänzlich ungeeignet (Stehr) bis zur Überzeugung, ein Schrank, mit Werkzeug und Material ausgestattet, bietet eine ausreichende Basis für einen anspruchsvollen Werkstattunterricht (Mann). Sich in diesem weiten Feld einen eigenen Standpunkt zu erarbeitet gelingt dem Leser mit Hilfe des theoretischen Einstiegs in den ersten sieben Aufsätzen.
Zahlreiche Literaturangaben zu jedem Aufsatz ermöglichen dem Leser eine gezielt Vertiefung einzelner thematischer Schwerpunkte. Die Orientierung wird durch die Kopfzeile, in der Autorin und Titel des Aufsatzes genannt sind, und übersichtliches sowie einprägsames Layout erleichtert. Abgerundet wird der Band durch eingestreute Glossarienkästen zum Begriffsfeld Werkstatt und eine reiche Bebilderung, die motivierend in die Texte führt. Nicht zuletzt sind alle Autorinnen und Autoren mit Beruf und Anschrift genannt, so dass eine Kontaktaufnahme bei Bedarf leicht möglich ist. Somit gerät diese Aufsatzsammlung zu einer wichtigen Quelle für „Anregungen zu ästhetischen Erfahrungs- und Lernprozessen im Werkstattunterricht“ (so der Untertitel) und darüber hinaus zu einer hilfreichen Lektüre als Einstieg in die fachdidaktische Diskussion zum Thema.

Holger Erbach

erschienen in: http://people.freenet.de/bdkbawue/erbach1.html