Rezension von Nobert Osterholt zu: Kirchner, Constanze/ Peez, Georg: Kreativität in der Grundschule erfolgreich fördern. Arbeitsblätter, Übungen, Unterrichtseinheiten und empirische Untersuchungsergebnisse. Braunschweig (Westermann Verlag) 2009

Rezension von Nobert Osterholt zu:

Kirchner, Constanze/ Peez, Georg: Kreativität in der Grundschule erfolgreich fördern. Arbeitsblätter, Übungen, Unterrichtseinheiten und empirische Untersuchungsergebnisse. Braunschweig (Westermann Verlag) 2009

Mit dem Titel „Kreativität in der Grundschule erfolgreich fördern“ liegt eine Publikation zweier kunstpädagogischer Experten vor, welche einen innovativen Beitrag zu Formen der Diagnose und Förderung im Kunstunterricht der Grundschule bietet. Das Grundlagenwerk basiert auf den Auswertungen aktueller Forschungsergebnisse und belegt, dass und auf welche Weise die Kreativität der Kinder gefördert werden kann.
Die Autoren explorieren zunächst Facetten und das Spektrum des Phänomens Kreativität und konkretisieren diese in einer Verschränkung mit dem ästhetischen Verhalten von Grundschulkindern. Das erste Kapitel beantwortet hierzu die Frage „Was ist Kreativität?“ zunächst mit einer Beschreibung und Skizze der „klassischen“ Aspekte der Kreativität, der Kreativitätsphasen, begünstigender und blockierender Faktoren, Merkmale einer kreativen Person. Belegt werden diese Ebenen und Faktoren mit zahlreichen Illustrationen. Unterschieden werden Fantasie und Kreativität, individuelle und kulturelle Kreativität, die kreativen Potenziale von Künstlern einerseits und Kindern andererseits.
In dieser Komplexität und Vernetzung des theoretischen Feldes wird das Theoriemodell von Urban und Jellen (1994) zentral positioniert. Trotz der knappen Darstellung des gesamten Begriffskomplexes entsteht ein differenziertes sowie fundiertes und doch anschaulich beschriebenes Theoriefeld. Die Beschreibung mündet dann in der Fragestellung, wie Kreativität gefördert und diagnostiziert werden kann.
Hierzu rücken zunächst einmal grundlegende Fragen der Unterrichtsgestaltung und des adäquaten Lehrerverhaltens in den Fokus: Kunstbetrachtung sowie Vorstellungs- und Erinnerungsfähigkeit, Bedeutung von Gruppe und Gruppenverhalten. Diese Facetten korrelieren mit einem werkstattorientierten und prozessorientierten Unterricht als organisatorische Ausgangsbedingung für ein kreatives Lernfeld.
Eine aktuelle Literaturliste schließt diesen ersten Teil der Publikation, der insgesamt zunächst wohl weniger an Forschende und im Hochschulbereich Lehrende, sondern eher an Praktiker und Unterrichtende in der Schule gerichtet ist. Einsteiger in die Thematik erhalten hier einen fachlich gestalteten, gut strukturierten und lesbaren Überblick.
Der zweite Teil ist den grundlegenden Forschungsfragen und Untersuchungsmethoden gewidmet. Zunächst erfolgt eine Vorstellung und Analyse in Deutschland angebotener psychologischer Kreativitätstests. In begründeter und kritischer Abwägung entscheidet sich das Autorenteam für den „Test zum schöpferischen Denken – Zeichnerisch“ (TSD-Z) der Psychologen Jellen und Urban, der sich an Kinder ab dem Alter von vier Jahren richtet, aber auch mit älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen möglich ist. Der Test basiert nur auf Zeichnen und Zeichnungen. Vorgegebene grafische oder geometrische Zeichenfragmente müssen mit dem Stift ergänzt und erweitert, um- und ausgestaltet werden. Im Gegensatz zu verbalen Kreativitätstests, kann dieser Test so unabhängig von dem jeweiligen Sprachstand und den kulturellen Vorerfahrungen und Hintergründen der Grundschulkinder durchgeführt werden. Dies belegen kultur- und länderübergreifende Erfahrungen.
Zudem: Der TSD-Z berücksichtigt ein großes Spektrum qualitativer kreativer Merkmale und Leistungen und wertet dieses aus. Die von Kirchner und Peez angegebene Empfehlung der Testentwickler kann bestätigt werden: Der Test ist recht einfach und von jeder Lehrkraft durchführbar. Er eignet sich, um einen gesicherten Überblick über kreative Leistungen und Profile von Schülerinnen und Schüler zu erzielen. Lehrkräfte können so ihre eigenen, auch subjektiven und situativen Wahrnehmungen, Erkenntnisse und Eindrücke überprüfen, relativieren und auch revidieren.
Deutlich verweisen die beiden Autoren darauf, dass es nicht in ihrer Intention liegt, dem Trend zu Tests und zu Vergleichsstanderhebungen zu folgen. Die Zielvorstellung besagt, dass mit diesem Test grundlegende Erkenntnisse für Fördermaßnahmen gewonnen werden sollen. Im Fokus stehen Fragen nach optimaler individueller Förderung von Kreativität.
Wie kann pädagogisch auf die heterogenen Anlagen von Mädchen und Jungen reagiert werden? Wie und mit welchen Maßnahmen können Defizite kompensiert werden? Und wo muss individuelle Förderung der kreativen Potenziale von Schülerinnen und Schülern ansetzen?
Der zu Grund gelegte Forschungsauftrag heißt: Wie kann Kreativität in der Grundschule gefördert werden? Hierzu wird der Vorher-und-Nachher-Status einzelner Kinder eines zweiten Schuljahres erhoben und ausgewertet. Kirchner und Peez stellen in Kapitel 2 bis 4 ein realisiertes und ausgewertetes Förderprogramm samt Empirie und Untersuchungsverlauf vor.
So werden eine Einbettung sämtlicher Methoden, Praxisanregungen und Übungen in den Rahmen einer fachlichen Unterrichtsplanung (sehr detailliert auch in Kapitel 4) und Unterrichtsauswertung gewährleistet, dies immer anhand einzelner Facetten des komplexen Bereichs Kreativität gespiegelt. Auch die über 30 Übungen mit Beispielaufgaben werden so nicht isoliert angeboten, sondern sind in ein Paket kreativitätsfördernder Hilfen und Strategien eingebettet. Hintergrundinformationen zu Kunst- und Künstlerbezügen werden hinzugefügt. Die Autorin und der Autor begegnen so der Gefahr, dass die einzelnen Beispielaufgaben und Übungen als isolierte Kopiervorlagen und Arbeitsblätter eingesetzt werden. Sie zeigen mit pragmatischen Hinweisen erste Schritte hin zu einem offenen und werkstattorientierten Unterricht.
Geboten wird ferner die Vermittlung von Forschungskompetenz und Förderung selbstreflexiven Lehrerhandelns im Unterrichtsalltag mit dem Ziel, ein solches Wissen zu stärken, das in unterrichtspraktischen Zusammenhängen Anwendung findet und somit eine fachdidaktische Progression von Kunstunterricht ermöglicht. Hierdurch richtet sich die Publikation nicht nur an fachlich erfahrene Praktiker. Die detaillierte Vorstellung des Forschungsprogramms und des wissenschaftlichen Umgangs mit Empirie macht sie interessant für Studierende, Forschende und Lehrende in Didaktik und Lehrerbildung.
Im Zentrum von Kapitel 5 steht die Beschreibung der kreativen Förderaspekte anhand von 5 Fallbeispielen von Grundschulkindern. Vorangestellt werden zunächst allgemeine Vorbemerkungen zum bildnerischen Entwicklungsstand von Zweitklässlern und dann Auswertungskategorien im Hinblick auf kreative Faktoren (Durchdringung, Komplexität, Elaborationsfähigkeit, Umstrukturierung bisheriger Darstellungsschemata) jeweils zum plastischen und zeichnenden Gestalten.
Die Auswertungskategorien fokussieren zunächst, ob und in welchem Maße die Kinder bisher unbekannte, ungewöhnliche Darstellungsformen – auch im Hinblick auf erfolgte Kunstrezeption – detailorientiert aufgreifen und sich aneignen, und inwieweit innovative kompositorische Charakteristika wiedergegeben wurden.
Entschieden verweisen die Autoren darauf, dass diese Kategorien nicht Anleitungen zur Leistungsmessung oder Benotung sein sollen. Es sollen Kinder nicht miteinander verglichen werden, sondern der detaillierte Blick soll auf die Individualität und Persönlichkeit jedes Kindes gelenkt werden und auf das Spektrum und den Facettenreichtum seiner kreativen Fähigkeiten. In diesem Sinne wird in den Fallbeispielen ein reiches Feld an fachrelevanten Einzelaspekten und Förderchancen aufgefächert, indem das ästhetisch wirkende Kind in seinem Bildungshandeln neu und differenziert betrachtet wird.
Der Titel „Kreativität in der Grundschule erfolgreich fördern“ hält, was er verspricht. Die Autoren Kirchner/Peez leisten wichtige Pionierarbeit und schließen eine Lücke in der fachdidaktischen Literatur, indem sie die Förderpotenziale, die im Kunstunterricht entwickelt werden können, differenziert aufzeigen. Sie stellen ein fundiertes und klar strukturiertes Forschungs- und Förderprogramm bereit. Mit diesem werden bisher wenig beobachtete Diagnose- und Förderchancen des Faches in der Schule erschlossen und handhabbar. Die Veröffentlichung ist hierdurch für Pädagogen in Schule, Hochschule, Ausbildung und Forschung gleichermaßen relevant.

erschienen in: Erziehungswissenschaftliche Review 2010