Rezension von Prof. Dr. Ludwig Duncker zu: Peez, Georg (Hg.): Handbuch Fallforschung in der Ästhetischen Bildung / Kunstpädagogik. Qualitative Empirie für Studium, Praktikum, Referendariat und Unterricht. Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren) 2007 |
Überblick zu aktuellen kunstpädagogischen Forschungsmethoden
Empirische Forschung ist in den ästhetischen Feldern der Didaktik noch keine Selbstverständlichkeit, vielleicht auch deshalb, weil sich das Ästhetische oft gegen eine Vermessung sträubt und nicht so recht mit den Instrumenten der Unterrichtsforschung zusammenpassen mag. Künstlerische Tätigkeit, so ist zu hören, sei doch eine Aktivität, die keinen eindeutigen Massstäben folgen könne, sondern auf Inspiration und Unverwechselbarkeit, Individualität und Kreativität beruhe. Messbare Kunst – dies scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Schlimmer noch: Wer versuchen wollte, künstlerische Arbeit messbaren Standards zu unterwerfen, würde den künstlerischen Prozess doch eher gefährden.
Der Sammelband, den Georg Peez herausgegeben hat, räumt mit solchen Vorurteilen auf, indem er die Produktivität empirischer Verfahren in der Kunstpädagogik und in angrenzenden Feldern ästhetischer Praxis aufzeigt. Hier wird ästhetische Praxis keinen Messinstrumenten unterworfen, es werden vielmehr Untersuchungsverfahren aufgezeigt, die sich flexibel an künstlerische Tätigkeit anpassen können und dadurch Erkenntnisse und Perspektiven für die Kunstpädagogik hervorbringen. Möglich wird dies durch den Rückgriff auf qualitative Forschungsmethoden, die eingebunden werden in hermeneutische Verfahren einer sinnorientierten Interpretation künstlerischer Produktion. Es geht also nicht um quantifizierende Vergleiche, sondern um Formen einer sensiblen Beobachtung und Analyse von Phänomenen ästhetischer Praxis in Kindheit und Jugend.
Ein großes Spektrum von Methoden qualitativer Forschung wird auf kunstpädagogisch relevante Fragestellungen bezogen. Methoden der ethnographischen Feldforschung, leitfadengestützte und narrative Interviews, Verfahren der dichten Beschreibung, des Mappings, der Triangulation usw. erschließen differenzierte Einblicke in die ästhetische Praxis. Wohltuend ist, dass in bester phänomenologischer Tradition nicht dort Eindeutigkeit hergestellt wird, wo mehrdeutige Interpretationen nahe liegen und verschiedene „Wahrheiten“ entdeckt werden können. Dies schärft den Blick für Kunstverstehen und künstlerische Praxis und bewahrt vor einem Rückfall in einen naiven Positivismus, der vorgibt, „Tatsachen“ feststellen zu wollen.
Die thematischen Felder sind breit angelegt: Vom Kritzeln des Kleinkindes bis zur Computernutzung Jugendlicher, vom Breakdance bis zur Fotoanalyse, von der digitalen Kinderzeichnung bis zur Erforschung performativer Dialoge reicht das Spektrum der vorgestellten Fallforschungen. Das Anliegen des Buches, eine empirische Unterrichtsforschung zu entfalten, die auch Wirkungsforschung einschließt und auf diese Weise eine ganze Bereichsdidaktik vor möglichen Selbstüberschätzungen bewahrt, weil sie ihre Aussagen interdisziplinär kommunizierbar macht, ist in den Beiträgen originell und nachvollziehbar durchgearbeitet.
Allerdings kann man das Buch wohl nicht als „Handbuch“ bezeichnen. Hierfür wären die systematischen Zugriffe deutlicher herauszuarbeiten. Ein Titel „Studien zur Fallforschung in der Ästhetischen Bildung“ wäre zutreffender gewesen und könnte den Leser vor falschen Erwartungen bewahren. Als Studien eröffnen die Beiträge jedoch ein interessantes und zukunftsweisendes Feld in der Unterrichtsforschung wie auch in der Didaktik der ästhetischen Bildung.
erschienen in: Die deutsche Schule 2 / 2008