Rezension von Prof. Dr. Wolfgang Zacharias, Kulturrat der Stadt München zu: Peez, Georg (Hg.): Kunstpädagogik und Biografie. 52 Kunstlehrerinnen und Kunstlehrern erzählen aus ihrem Leben. Professionsforschung mittels autobiografisch-narrativer Interviews. München (kopaed) 2009 |
Kunstpädagogische Biografien – Was war gewollt? Was ist geschehen?
52 Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer im Alter von 29 bis 66 Jahren erzählen aus ihrem Leben: Warum und wie sie zu diesem Beruf kamen und wie sie dieses im Rückblick in der Spannung von Kunst und Pädagogik, freiem Leben und Existenzsicherung, Lust an Kunst und Kindern, Ambivalenz zwischen Schulstruktur und kulturell-künstlerischen Lebenswelten bewerten.
Grundlage der empirischen Untersuchung aus Einzelfallstudien und O-Tönen ist ein kunstpädagogisches Ausbildungsprojekt der Universität Duisburg-Essen aus den Jahren 2002/2003 und 2008; die Biografie- und Professionsforschung mit kunstpädagogischem Akzent entstand unter der Leitung von Prof. Dr. Georg Peez, Kunstdidaktiker, Empiriker und Herausgeber. Die der Studie zugrunde liegenden Interviews wurden von Student/innen, oft mit ihren ehemaligen Kunstlehrer/innen, durchgeführt.
Einleitend werden in der Studie Forschungsfragen, methodisches Design und Auswertungsverfahren erörtert und begründet, fokussiert auf die dann folgenden „autobiografisch-narrativen“ Interviews, ihre Dokumentation und Auswertung. Schon dieses ist von besonderem Interesse, da wir in der „Kulturellen Bildung“ durchaus wissenschaftliche Defizite im Nachweis unserer Qualitäten haben. Gleiches gilt für die Wirkungsforschung.
Die Einzelfallstudien und deren Interpretation entfalten sich auf 650 Seiten, die CD bietet zusätzliches Material. Die Fülle und Vielfalt der biografischen Wege und Umwege, Motivationen und Akzentuierungen ist eigentlich nicht überraschend, denn der Kunstbezug ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Und der pädagogische Weg in die Schulpraxis wiederum ist auch in vielen Fällen mit Unvorhersehbarem, Unwägbarem und Richtungstransformationen verbunden, außerschulische Einflüsse, Kontexte und Tätigkeiten eingeschlossen.
Immer wieder werden frühe Schlüsselerlebnisse, besondere Begegnungen, biografische Irritationen und Korrekturen, Fragen von Talent und Suchbewegungen in jungen Jahren benannt – in der Gesamtauswertung ergibt dies auch eine Art „Typologie“ auf der Basis der Einzelauswertung. Verallgemeinert erweist sich als besonders bedeutsam für den Berufsweg: Familie, Eltern und Geschwister, Milieu, Begabung und die Lust daran (sozusagen von Anfang an), Kunstunterricht und pädagogische Vorbilder, Studienzeit und ihre fachlichen wie kommunikativen Szenen, das Verhältnis zu Kunst und die eigene künstlerische Tätigkeit, Ambivalenz und Akzeptanz gegenüber der Institution Schule (S. 25), zu ergänzen um die Frage der Existenzsicherung meist im Verhältnis zur Lebenslage als freie/r Künstler/in. Dies geschieht durchaus kritisch-selbstreflexiv: Was war gewollt, was ist geschehen – insbesondere im Hinblick auf eine notwendige „Systemanpassung“ als Lehrer/in.
Eine Besonderheit ist noch zu erwähnen und mit einem Exkurs gewürdigt: Sieben der Interviewten waren Beuys-Schüler an der Akademie Düsseldorf. Sie erzählen, Pro und Contra, von Beuys, von anstoßend-anregenden-anstößigen, irritierenden und provozierenden, aber auch sehr nachhaltig-unkonventionellen Lehr- und Lernerfahrungen.
Für Kunst- und Kulturvermittler, insbesondere in der schulischen wie außerschulischen kunstpädagogischen Praxis ist dieses 800-Seiten-Buch wie ein Spiegel, eine Art Kaleidoskop zur selbstreflexiven Erinnerung und Identitätsvergewisserung. Für die kunstpädagogische Profession ist es ein ambitionierter und wichtiger Schritt in Richtung Qualifizierung von Ausbildung und wissenschaftlich konkurrenzfähiger Entwicklung. Eine besondere forschungsmethodische Anregung bietet die Studie ebenfalls: Die Interviewten sollten als „visuellen Impuls“ einen Gegenstand mitbringen: „In den allermeisten Fällen wurden Gegenstände mit symbolisch hoher Aussagekraft geboten, die entweder einen bestimmten wichtigen Lebensabschnitt repräsentierten oder die gar unterschiedliche Lebensphasen miteinander verknüpften. Der visuelle Impuls gab nicht nur einen Gesprächsanlass, sondern er kondensierte zumeist einen Kern der Lebensgeschichte sehr klar, brachte vieles zum eigenen professionellen Selbstverständnis auf den Punkt. “ (Georg Peez, S. 783) Dies ist durchaus ein hoch qualifizierter Beitrag zu einer eigensinnigen Wissenschaftsmethodik im Horizont „Ästhetischer Forschung“.
Wolfgang Zacharias
erschienen in: Infodienst. Das Magazin für Kulturelle Bildung, Nr. 93, Oktober 2009, S. 53