Multimediale Werkstatt

Georg Peez & Michael Schacht

Abb. 2 Die Zusammenarbeit der Heranwachsenden bei der Suche nach gemeinsamen Gestaltungslösungen kann in einer multimedial angelegten Werkstatt mittels arbeitsteiliger Verfahren fachdidaktisch gefördert werden.

Der Verlust von elementaren ästhetischen Grunderfahrungen kennzeichnet die Diskussionen zum Einsatz des Computers im Kunstunterricht. Dies führt dazu, dass die „Doppelstrategie“ (Freiberg 1998 u. 1999), im Kunstunterricht diese materialbezogenen Grunderfahrungen in kompensatorischer Absicht zu ermöglichen, aber auch mit den digitalen Medien zu arbeiten, weitgehend auf Zustimmung stößt. Nicht zuletzt wegen der geringen Stundenzahl für ‚Kunst‘ im Fächerkanon der Schule, liegt der Gedanke nahe, beide Aspekte miteinander zu verbinden (Schierenbeck 1998 u. 1999; Pazzini 1999, S. 21ff.). Während ‚Multimedia‘ für den Digitalbereich steht, hebt ‚Werkstatt‘ den Bezug zu handwerklichem, materialbezogenem Arbeiten hervor. Ohne dass umfassend auf die unterschiedlichen Facetten des kunstpädagogischen Werkstatt-Verständnisses eingegangen werden kann (vgl. Kirchner/ Peez 2001), soll hier ‚Werkstatt‘ zunächst ganz pragmatisch im räumlichen Sinne verstanden werden, worauf sich didaktische Überlegungen zur „Multimedia-Werkstatt“ anschließen.

Für das „Prinzip Werkstatt“ bedeutet dies häufig, „entweder die Schule zur Werkstatt umzubauen oder regelmäßig Werkstätten außerhalb der Schule aufzusuchen“ (Kahrmann 1992, S. 15; auch Selle 1991, S. 20). Der Praxis- und Tätigkeitsbezug im Gegensatz zu kognitivem Lernen ist das, was für ‚Werkstatt‘ charakteristisch ist. Zur Frage steht heute nur, welcher Werkzeuge man sich in dieser Praxis bedienen soll und kann, ob ‚realer‘ oder auch ‚virtueller‘. Geht man davon aus, dass mit beiden ‚Werkzeugarten‘ bildnerisch gestaltet wird, und setzt man weiterhin voraus, dass mit der Hand- wie auch mit der Computerarbeit ästhetische Erfahrungen gemacht werden können, so lässt sich der Computer zweifellos neben dem Spachtel, dem Hobel oder der Materialkiste mit Lederresten in einer Werkstatt platzieren. Abgesehen davon findet sich heute wohl in fast jeder zeitgemäßen professionellen Werkstatt ein Computer.

Aus Sicht der Kunstpädagogik ist ein adäquater Raum zu schaffen, in dem die digitalen Medien und ihre Rolle, die sie in fast allen visuell wahrnehmbaren und bildnerisch gestaltbaren Lebensbereichen spielen, in Bezug auf Kunstunterricht zumindest vorläufig positioniert werden können. Wie ein solcher Raum ganz praktisch aussehen kann, wird zurzeit in dem Modellversuch „Multisensueller Kunstunterricht unter Einbeziehung der Computertechnologie“ im Rahmen des Bund-Länderprogrammes „Kulturelle Bildung im Medienzeitalter“ (http://www.kubim.de) an mehreren Schulen in Südhessen in den Klassen 6 bis 13 erkundet (http://www.muse-computer.de). Hier wird etwa das Setting eines ‚kunstpraktischen Werkraums im digitalen Zeitalter‘ erprobt, in dem Computerarbeitsplätzen in der Raummitte Arbeitsplätze für materialbezogenes bildnerisches Arbeiten rundherum zugeordnet sind (http://www.muse-forschung.de). Eine Vielfalt bildnerischer Zugangsweisen bleibt nicht nur gewahrt, sondern wird erweitert. Aufgabe der Kunstpädagogik ist es gerade auch durch die räumliche Nähe beider Arbeitsbereiche, produktive Perspektiv- und Materialwechsel anzuregen und didaktisch zu unterstützen.


Die Einrichtung einer solchen Werkstatt ist durchaus im Dialog mit interessierten und versierten Schülerinnen und Schülern zu planen. Zudem ist es nicht sinnvoll, die Heranwachsenden zu Beginn des Unterrichts an komplett ausgestattete Arbeitsplätze zu setzen, sondern sie sollten sich ihre Lernumgebung selbst arrangieren und zusammenstellen.

Wünschenswerte Mindestvoraussetzungen

• preisgünstige Rechner der letzten Generation mit

– 17-Zoll-Bildschirmen,
– Keyboard und Maus sowie
– ausreichend Speicherplatz (Festplattenspeicher und Arbeitsspeicher) für bild-, video- und grafikorientiertes Arbeiten.

Weitere Hardware:
• Grafikkarte für Videoschnitt und für 3D-Anwendungen
• Soundkarte, dem Zweck angemessen
• Netzwerkkarten

Eingabegeräte:
• Grafiktablett,
• Flachbettscanner mit großer Bildtiefe in der Aufnahme,
• Digitalvideokamera,
• Digitalfotoapparate,
• CD-ROM- und DVD-Laufwerke.
Ausgabegeräte:
• ein transportabler Beamer (alternativ: LCD-Display mit lichtstarkem Tageslichtprojektor),
• CD-Brenner,
• Tintenstrahl-Farbdrucker A4 (A3 wäre wünschenswert).

Notwendige Software gibt es entweder mit den Geräten oder als Freeware und Shareware oder in günstigen Schullizenzen (z. B. bei http://www.basis1.de, http://www.logibyte.de oder http://www.steckenborn.de) (s. auch K+U 257/2001″Multimediale Präsentationen“). Wichtig ist ferner die Vernetzung der digitalen Arbeitsplätze und Peripheriegeräte untereinander und selbstverständlich der Internet-Anschluss für alle Computer.


Die beiden bekanntesten Autorenprogramme zum Erstellen multimedialer Präsentationen organisieren und verbildlichen den Gestaltungsprozess mit Hilfe von Metaphern, die eine Nähe zur Werkstatt aufweisen. Das Programm „Director“ von Macromedia lässt Nutzende zu Regisseuren werden, wie der englische Name bereits sagt. Es wird ein Drehbuch erstellt, das nach einer Zeitachse organisiert ist und das bestimmt, wann welche ‚Darsteller‘ (Grafiken, Texte, Videos, Animationen, Sound) die ‚Bühne‘ ‚betreten‘. Werkstattcharakter hat diese Bühne insofern als sehr viel experimentiert werden kann. Legt der „Director“ von Macromedia Assoziationen zu einer ‚Werkstatt-Bühne‘ nahe, so wartet das Autorenprogramm „ToolBook II“ vom Hersteller „click2learn.com“ mit der Buchmetapher auf. Hier wird ein virtuelles Buch konzipiert und ‚gesetzt‘, das aus ‚Seiten‘ besteht, auf denen Medienelemente und Textkästen angeordnet sind. Bücher werden traditionell in einer Druck-Werkstatt erstellt.


Ausschlaggebend für produktive Wechselwirkungen zwischen Analogem und Digitalem unter dem Dach der Multimedia-Werkstatt sind jedoch die vielfältigen Optionen, weitgehend im Kunstunterricht „traditionell“ bildnerisch analog Gestaltetes in die digitale multimedale Präsentation zu integrieren (Abb. 1). An der Erstellung beteiligte Schülerinnen und Schüler können beispielsweise Malereien, Zeichnungen und plastische Objekte anfertigen, erzählende oder analysierende Texte verfassen, Kompositionsskizzen zeichnen, Recherchen zu Künstlerinnen, Künstlern und Kunstepochen dokumentieren und Fotos oder Videos aufnehmen. Weite Strecken des Kunstunterrichts ließen sich auf diese Weise durchführen, freilich unter der Prämisse, sich zuvor über die Ziele, den Ablauf und die hypermedialen Strukturen der geplanten Präsentation Gedanken gemacht zu haben. Sowohl individuelles Arbeiten, das Arbeiten in Kleingruppen also auch die Konzeptionierung innerhalb einer ganzen Klasse oder einer Arbeitsgruppe sind in der Multimedia-Werkstatt möglich bzw. nötig. Jede Art von Werkstatt ist grundsätzlich auf die Kooperation von mehreren Personen angelegt (Abb. 2). Soziale Lernbezüge werden gefördert, denn Absprachen und Aushandeln von gestalterischen Lösungen werden verbalisiert. Barbara Wichelhaus unterscheidet zwischen arbeitsteiligen und arbeitsgleichen Verfahren. Bei arbeitsteiligen Verfahren übernehmen einzelnen Personen Teilaspekte einer Gesamtaufgabe, die sie individuell bearbeiten. Die entstandenen Ergebnisse werden im folgenden Schritt zur Gemeinschaftsarbeit zusammengefügt. Bei arbeitsgleichen Verfahren entwickeln die Beteiligten im Prozess ein Werk gemeinsam und meist in ständigem Austausch (Wichelhaus 1998, S. 5f.). Mischformen dieser idealtypischen Trennung sind in der Praxis zwar die Regel, aber für die Arbeit an multimedalen Präsentationen hat sich das arbeitsteilige Verfahren als sinnvoll erwiesen.

Abb. 1 Screenshot der Präsentation „Liebe und Tod“ des Informatikkurses G 10A (10. Klasse) der Schule am Ried, Frankfurt/M. In Bildnerischen Gestaltungen und selbst verfassten Gedichten setzten sich Schülerinnen und Schüler mit den Inhalten von Kunstwerken auseinander.

Literatur

Freiberg, Henning: Thesen zur Bilderziehung im Fach Kunst. In: Kirschenmann, Johannes/ Peez, Georg (Hg.): Chancen und Grenzen der Neuen Medien im Kunstunterricht. Hannover 1998, S. 12-17.
Freiberg, Henning: Medien-Kunst-Pädagogik. Anstöße zum Umgang mit Neuen Medien im Fach Kunst. In: Kunst+Unterricht 230/231 / 1999, S. 23-28.
Fritzsche, Marc: Ein Medium drängt sich nach vorn. Computer in der Kunst-Werkstatt oder Kunst in der Computer-Werkstatt? In: Kirchner, Constanze/ Peez, Georg (Hg.): Werkstatt: Kunst. Hannover 2001, S. 144-159.
Kahrmann, Karl-Ove: Das Prinzip Werkstatt. Eine Alternative zur alltäglichen kunstpädagogischen Praxis. In: Kunst+Unterricht, 161/1992, S. 14-19.
Kirchner, Constanze/ Peez, Georg: Kunstunterricht als Werkstatt. In: Kirchner, Constanze/ Peez, Georg (Hg.): Werkstatt: Kunst. Hannover 2001, S. 8-21.
Pazzini, Karl-Josef: Kulturelle Bildung im Medienzeitalter. Bundländer-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 77 (abrufbar unter http://www.kubim.de/down/heft77.pdf). Bonn 1999.
Schierenbeck, Fred: Zwischen Wasser und Feuer. Computer im Kunstunterricht. In: Kirschenmann, Johannes/Peez, Georg (Hg.): Chancen und Grenzen der Neuen Medien im Kunstunterricht. Hannover 1998, S. 42-51.
Schierenbeck, Fred: Annäherung an ein Kunstwerk. Zur Funktion digitaler Bildmedien im Kunstunterricht. In: Kunst+Unterricht, 223/224 / 1999, S. 40-43.
Wichelhaus, Barbara: Gemeinsam Bilder herstellen. In: Kunst+Unterricht, 226/1998, S. 4-12.


Bibliografische Angaben zu diesem Text:

Peez, Georg & Schacht, Michael: Multimediale Werkstatt. In: Kunst + Unterricht, Heft 260, 2002, S. 17-18


Georg Peez (http://www.georgpeez.de) Zuletzt geändert am 16.04.2003